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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Männerkleider für mich. Kannst du mir das alles rasch besorgen?« Sie fügte nichts hinzu. Maria musste von Gilles gehört haben, das war Stadtgespräch.
    Maria schaute sie einen Moment lang schweigend an, dann sagte sie: »Warte hier, ich brauche nur einen kurzen Moment. Ich kann dich dann auch gleich zur Hintertür rauslassen, du musst nicht mehr an allen Besuchern vorbei.« Judith wollte sie umarmen, aber Maria war schon aus dem Raum verschwunden.
    Was folgte, erschien Judith wie eine Ewigkeit. Sie wollte nie mehr eine solche hilflose Wartezeit erleben. Sie konnte sich auch nicht setzen; von einer Wand zur anderen zu laufen, hin und her, nur das ging. So hatte sie einen Braunbären im Bärenzwinger von Köln gesehen und Mitleid mit ihm gehabt. Jetzt war sie der Bär.
    Als Maria mit einem Sack wieder den Raum betrat, war Judith sicher, alle Sünden abgebüßt zu haben, die sie getan und nicht getan hatte. Sie war klatschnass, so hatte sie geschwitzt.
    »Ich hoffe, du kannst das alles tragen, es ist nicht leicht«, sagte Maria. »Einige Besucher haben dein kräftigstes Schlafmittel ins Bier bekommen und dazu etwas Branntwein. So hast du eine Nacht Vorsprung, wenn meine Gäste denn je den Mut haben zuzugeben, wo sie ihre Kleider verloren haben.« Sie kniff ihr in die Wange. »Ich hoffe, wir werden uns irgendwann wiedersehen. Es war schön mit dir hier in Braunschweig. Und Judith, nie vergessen: Wer gibt, der kriegt, das gilt immer noch!«
    Judith umarmte sie und hielt ihre Freundin fest umschlungen. Schließlich stammelte sie ihr ins Ohr: »Ich werde dich auch vermissen. Leb wohl.«
    Der Sack war wahrlich schwer. An jedem anderen Tag hätte Judith einen Mietknecht geschickt, die Last zu holen. Heute war aber kein normaler Tag, und trotz des großen Gewichts ging sie leichten Fußes, beschwingt, als wäre die Befreiung bereits gelungen. Sie war voll neuer Hoffnung.
    * * *
    Natürlich hatte Markwart geunkt, dass er nicht im Kerker landen wolle und was Walther für Menschen kannte; trotzdem hatte er nicht mit einer Silbe angedeutet, dass er ihn im Stich lassen würde, und Walther hatte ihn umarmt, was er seit langer Zeit nicht getan hatte. Sein Freund machte sich dann auf den Weg, um Pferde zu kaufen.
    Zwei Pergamente mit Anweisungen zu schreiben dauerte nicht lange und war nichts im Vergleich dazu, auf Judith warten zu müssen. Während das Siegel mit dem Abdruck der Münze erkaltete, nahm Walthers Nervosität von Moment zu Moment zu. Endlich tauchte Markwart mit zwei gesattelten Pferden auf. Walther war dankbar, ihn über den fürchterlichen Preis schimpfen zu hören, den er hatte zahlen müssen, denn das lenkte ihn ab.
    Als Judith schließlich schwer bepackt erschien, wusste er nicht, ob er sie erleichtert an sich reißen oder fragen sollte, woher sie das weitere Kettenhemd und die andere Männerkleidung hatte. Er entschied sich gegen beides und schlüpfte mit Markwart in die Sachen. Nachdem sie die Helme aufgesetzt hatten, waren sie nicht mehr zu unterscheiden von den vielen anderen welfischen Kriegsknechten in der Stadt. »Du redest kein Wort«, schärfte er Markwart ein, aber das hätte er nicht zu sagen brauchen. Sooft Walther auch schon mit Frauen das Bett geteilt hatte, war er doch noch nie Zeuge geworden, wie sie sich zurechtmachten, und es berührte ihn eigenartig, Judith dabei zu beobachten, was nicht nur daran lag, dass sie ihrem Gesicht mit Kohle, Rinde und einem Gemisch aus weißer und roter Zaunrübe männliche Züge gab. Sie tat es mit einer Freude und Leichtigkeit, als hätte ihr der Plan, Gilles zu retten, Jahre von der Schulter genommen. Ob sie so als Mädchen gewesen war, ehe er sie kennengelernt hatte?

    Die Sonne war bereits untergegangen, als Judith sie durch die dunklen Gassen direkt zum Rathaus führte. Offensichtlich waren alle Bediensteten bereits nach Hause gegangen; Walther und Markwart begegneten niemandem im Gebäude und standen bald vor der Tür, die Judith ihnen beschrieben hatte und hinter der die Lochgefängnisse lagen.
    Walther klopfte und meinte, sein Herz gegen das Gewirr aus Stahlringen, das er erstmals trug, schlagen zu hören. Als aber die Tür geöffnet wurde, war alles ruhig in seiner Stimme, der er einen leichten Akzent gab: »Eine Order der Pfalzgräfin, für Euch. Eilig! « Mit einer schwungvollen Bewegung knallte er dem Wachmann sein erstes versiegeltes Pergament vor die Brust und schaute so fordernd, wie er nur konnte. Der Mann blickte von ihm zu dem Pergament und

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