Das Spiel der Nachtigall
diesmal wesentlich langsamer. »Wie«, fragte er, und auch in seine Stimme kehrte mehr und mehr Belebung zurück, »steht es wohl um die Gesundheit der Wärter?«
Kapitel 26
D ie Lochzellen befanden sich unter dem Rathaus. Da in der Regel niemand länger als ein paar Wochen in ihnen gefangen gehalten wurde, ehe ein Urteil erging, gab es nur zwei Wächter. Judith hatte überlegt, den beiden einen Krug Bier mit einem Schlaftrunk zu bringen, doch sie kannten ihr Gesicht von all den vergeblichen Versuchen, mit Gilles zu sprechen. Als Walther nun fragte, erzählte sie ihm davon und berichtete von den Mitteln, jemanden kürzer oder länger außer Gefecht zu setzen.
»Ich hoffe, dass ich niemals wirklich krank werde. Als Ärztin seid Ihr furchteinflößend.«
»Danke«, sagte sie und klang durchaus geschmeichelt.
Walther dachte kurz nach, meinte dann aber, er habe eine bessere Idee. Markwart sollte beginnen, Judiths Habseligkeiten in Satteltaschen zu verstauen und zwei weitere Pferde zu besorgen, die bereitstehen mussten, wenn sie Erfolg hatten. »Ihr habt doch bestimmt Siegellack, um Eure Arzneifläschchen zu versiegeln?« Judith bejahte. »Und eine Münze mit dem Wappen der Welfen doch bestimmt auch?«
»Auch das, aber wollt Ihr mir nicht erzählen, was Ihr plant?«
Es war ihm anzusehen, dass er Vergnügen daran hatte, ihr seine Überlegenheit zu beweisen, und er hätte sie bestimmt noch eine Weile im Unklaren gelassen, wenn ihm nicht eine Schwachstelle in seinen Überlegungen bewusst geworden wäre. »Verdammte Schei– … entschuldigt bitte. Ohne Kettenhemd und Oberkleid mit dem Welfenwappen wird es schwierig.«
»Dann sagt mir endlich, was genau Ihr beabsichtigt, vielleicht kann ich helfen.« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, begleitete Judith sie mit einem bewundernden Blick, der ihr nicht schwerfiel: Hilfe zu haben, war etwas Köstliches.
»Ich habe Pergament, Ihr Siegellack und Münze. Ich schreibe den Befehl des Markgrafen, dem Übermittler den Gefangenen auszuhändigen, sowie einen weiteren für die Stadtwache, vier Leuten zu jeder Zeit freien Durchlass zu geben.«
»Ihr schreibt … was?«
»Ihr habt mich durchaus recht verstanden.« Walther grinste zufrieden. »Kaum ein Kriegsknecht kann lesen und schreiben. Was ihnen glaubhaft und mit Autorität unter die Nase gehalten wird, werden sie nicht anzweifeln. Wer kennt schon den Siegelring des Markgrafen? Sein Wappen kennen aber alle in Braunschweig und werden das, was auf kostbarem Pergament damit gesiegelt ist, nie und nimmer anzweifeln. Nur unsere Kleidung, die passt nicht. Nicht bei Markwart, nicht bei mir.«
»Wir haben Gilles’ Ausrüstung«, sagte Judith schnell. »Er war bei der Stadtwache. Alles liegt noch hier. Gilles ist kaum kleiner als Euer Begleiter, und für Euch«, ihr Lächeln verschwand, »für Euch … habe ich auch eine Lösung. Ich brauche zwei Stunden.«
Judith ging einen Weg, den sie bisher immer vermieden hatte. Nicht, weil es ihr nach mehreren Monaten ihrer Bekanntschaft mit Maria immer noch unmöglich erschien, ihn zu gehen; sie war ihr eine gute Freundin geworden, doch die beiden Frauen waren übereingekommen, dass dies nicht bekannt werden musste. Maria hatte Verständnis gezeigt, dass Judith ihre Position bei der frommen Pfalzgräfin nicht gefährden wollte, und war daher nur nach Einbruch der Dunkelheit zu ihr gekommen, um zu plaudern und mit ihr Neuigkeiten auszutauschen.
Maria führte das Hurenhaus tatsächlich alleine. Ihr Mann, der es vorher als Bader geleitet hatte, war verstorben, aber sie hatte keine Schwierigkeiten damit, eine Autorität für Frauen und Männer zu sein, und von der Stadt die Erlaubnis erhalten.
Im Verlauf der Monate hatte es sich ergeben, dass Maria auch nach Mitteln fragte, die den Frauen bei ihrer Tätigkeit im Hurenhaus helfen konnten. Es stellte sich rasch heraus, dass sie selbst einige Stärkungsmittel kannte, die Judith unbekannt waren, obwohl just dies ein Thema war, über das sich männliche Ärzte aller Zeiten immer gerne schriftlich ausgelassen hatten. »Zufriedene Kunden sind häufige Kunden«, sagte Maria. So erfuhr Judith, dass nicht nur Spargel, sondern auch Sellerie, Karotten und Petersilie den Mann stärkten und dass Basilikum, Thymian, Spinat und Nüsse bei Mann und Frau die Lust auf die Lust gleichermaßen erhöhen sollten. Was alle Frauen um Maria aber am meisten interessierte, waren Mittel für die Verhütung. Darüber hatte Judith in Salerno zwar einiges erfahren –
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