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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Robert mich an die Wachen verraten hatte.«
    »Es geschah nicht Euretwegen«, sagte Walther ehrlich, und der Aquitanier überraschte ihn.
    »Ich weiß. Aber wenn Ihr sie gewinnen wollt, dann werbt Ihr auf eigenartige Weise«, antwortete Gilles weise lächelnd. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte Walther, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Er hatte den peinlichen Eindruck, dass er errötete wie ein Knabe. Er schluckte die erste Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge lag, nämlich die, dass er besser wisse, wie man Frauenherzen gewänne, als ein Mann wie Gilles. Dessen Feststellung war aber so erkennbar gutmeinend, dass es beleidigend gewesen wäre, und außerdem würden sie es noch eine ganze Weile miteinander aushalten müssen. Plötzlich kam Walther ein Gedanke. Judith wusch sich gerade, und Markwart war bei den Pferden, was hieß, dass er mit Gilles alleine war.
    »Was genau hat Otto ihr eigentlich angetan, und was ihr Onkel?«
    Gilles musterte ihn nachdenklich. »Warum wollt Ihr das wissen? Um zu entscheiden, für wen Ihr zukünftig Eure Lieder schreibt und Eure Dienste verrichtet?«
    »Nein. Um Judiths willen.«
    Das meiste, was Gilles ihm erzählte, hatte Walther sich gedacht; ein paar Kleinigkeiten überraschten ihn dennoch, und er war erleichtert, dass seine schlimmste Befürchtung, Otto habe sie vergewaltigt, nicht zutraf. Er dankte Gilles und versprach, die Eröffnungen vertraulich zu behandeln.
    Sie hatten eine angekohlte Bibel in dem Haus gefunden, was für ein Pfarrhaus sprach. Wenn der Pfarrer oder der Vikar eine Bibel besaß, dann gehörte er zu den wohlhabenderen, denn viele Priester in den Dörfern, die er kannte, hatten nie eine besessen. Walther bat Markwart und Gilles, das Haus doch etwas genauer zu untersuchen. »Viele Leute vergraben etwas, um bei Überfällen ihre Wertsachen nicht zu verlieren. Gerade die Feuerstelle«, sagte er ihnen, »ist ein sehr übliches Versteck.« Egal, ob sie etwas fanden, sie waren jetzt längere Zeit beschäftigt – und er wollte unbedingt allein mit Judith sprechen.
    Er traf sie auf dem halben Weg zum Bach, wieder in Frauenkleidern und mit einer feuchten Haube; sie musste ihre Haare gewaschen haben.
    »Ich wünschte, Ihr würdet sie offen tragen«, sagte Walther. »Wenigstens so lange, wie wir hierbleiben. Die Tiere um uns herum bringt das bestimmt nicht zum Erröten.«
    Ihre Mundwinkel zuckten. »Aber wer wird Euren armen Freund vor dem Anblick meiner unbedeckten Haare schützen? Ich habe den Eindruck, dass er schon jetzt um seine Ehre fürchtet.«
    Walther wusste nicht, ob sie ihn und Markwart in der ersten Nacht ihrer Flucht gehört hatte oder aus seinem Verhalten ihre eigenen Schlussfolgerungen zog, doch er musste grinsen. »Ich denke, er wird es überleben.« Weil er Markwart die Treue eines alten Freundes schuldete, fügte er etwas ernster hinzu: »Vergesst nicht, dass er jetzt ein Gesetzesbrecher ist, der einem Verbrecher geholfen hat, vor der Strafe zu fliehen. Und er hat nicht gezögert. Da fallen seine übertriebenen Vorsichtsmaßnahmen, finde ich, nicht so sehr ins Gewicht.«
    Judith betrachtete ihn mit ihrem Blick, der ihm immer schärfer erschien als der bei den meisten Menschen, als hätte sie die Macht, genauso deutlich in Seelen schauen zu können, wie sie Krankheiten erkannte. Dabei wusste er, dass sie es nicht konnte; sonst hätte sie bereits in Wien gewusst, was in ihm vorging.
    »Nein, das tun sie wirklich nicht«, erwiderte sie leise. »Walther, ich habe mir immer gesagt, dass ich nur tun will, was rechtens ist. Ich habe einen Eid geschworen, den Menschen zu einem erfüllten gesunden Leben zu verhelfen, nicht zu einem raschen Tod. Aber erst habe ich durch meinen Onkel Otto geholfen, danach Philipp, und nun herrscht Krieg im Reich, zu dem ich ebenfalls etwas beigetragen habe. Als ich nach Salerno kam, da habe ich mit eigenen Augen gesehen, was mit einer Stadt geschieht, die gebrandschatzt wird. Was mit den Menschen in so einer Stadt geschieht. Genau das ereignet sich jetzt jedes Mal, wenn ein Anhänger Ottos eine Stadt oder Burg von Philipps Anhängern angreift, oder wenn Philipp eine Stadt stürmen lässt, welche Otto unterstützt. Und ich – ich habe geholfen, statt es zu verhindern! Deswegen bin ich wütend geworden, über mich, als Ihr meine Gründe wissen wolltet. Wenn Ihr recht habt, wenn ich es nur getan habe, weil ich meinem Onkel grolle und weil Otto mir widerwärtig ist, dann klebt das Blut dieser Menschen an meinen Händen, nur

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