Das Spiel der Nachtigall
aufsteigen wie Luftblasen, die an die Oberfläche brechen mussten. Nicht nur wegen Scherzen, die ihm zu anderer Zeit vielleicht nur ein kurzes Grinsen entlockt hätten; nein, vor Freude, hier mit Judith zu sitzen, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, und noch einmal am Anfang zu stehen.
Kapitel 27
G illes hatte sich einigermaßen erholt, obwohl er immer noch wenig sprach. Manchmal, wenn Judith zu ihm hinblickte, hatte er Tränen in den Augen, und sie wusste, dass er jeden Abend für die Seele des toten Robert betete.
Nachdem sie das Herzogtum Sachsen hinter sich gelassen hatten, fühlten sie sich alle deutlich sicherer. Sie begegneten einer Gruppe Kaufleute und erfuhren von ihnen, dass sich Philipp nicht mehr in Hagenau befand, sondern mit seinem Hofstaat nach Franken gezogen war. Inzwischen wusste jeder im Reich, wie der päpstliche Bescheid hinsichtlich der Thronfrage lautete, und Gerüchte waren im Umlauf, ob und wann der Papst den Bann folgen lassen würde.
»Müssen sich denn nicht selbst ohne den Bann alle Bischöfe von Philipp lossagen«, fragte Markwart, »wenn der Papst die Anerkennung Ottos als deutscher König fordert?«
Das wollte Judith auch wissen. Da es früher weder sie noch ihren Vater betroffen hatte, welcher christliche Herrscher gerade exkommuniziert worden war und welcher bei der Kirche in der Gunst stand, wusste sie nichts darüber, wie sich Bischöfe in einem solchen Fall verhielten. Sie konnte sich dunkel daran erinnern, dass Wolfger von Passau dem sterbenden Herzog von Österreich Bußbedingungen überbracht hatte, doch damals hatte sie nur gekümmert, dass er die Hetze gegen ihren Vater nicht noch schlimmer gemacht hatte.
»Die letzten drei englischen Könige waren wenigstens einmal in ihrem Leben gebannt«, sagte Gilles. »Die meisten Bischöfe sagten sich, dass der Papst in Rom weit weg war und der König sehr nahe. Ist das im deutschen Reich anders?«
»Früher, als die Soldaten des Kaisers in Italien standen, war es bestimmt genauso«, sagte Walther mit erhobener Augenbraue. »Nur anders herum: Die deutschen Bischöfe waren weit weg, die Truppen des Kaisers dafür ganz nahe beim Papst. Aber jetzt sind die deutschen Herren, denen der Kaiser Land in Sizilien, der Lombardei und Apulien gegeben hat, entweder wieder hier im Reich, oder sie müssen selbst kämpfen, um sich dort zu halten. Alles, was nördlich des Kirchenstaats liegt, sieht sich offenbar nicht mehr als Bestandteil des Reiches. Es gibt also niemanden im Süden, der auch nur auf den Gedanken kommt, für die Staufer in Richtung Rom zu marschieren.«
»Werden die Bischöfe also alle zu Otto umschwenken?«, fragte Judith beunruhigt.
»Ich glaube, deswegen ist Philipp nach Franken unterwegs. Die Bischöfe sind meist auch Fürsten und dem König verpflichtet, das macht es kompliziert. Der Erzbischof von Bamberg gehört aber zu den wenigen hochrangigen Klerikern, die ihn unterstützt haben, und er will wohl sicherstellen, dass das so bleibt. Erst recht, nachdem der Bischof von Würzburg sein Kanzler ist. Der Mann ist zwar noch nicht von Rom bestätigt, hat dafür aber bereits angefangen, den Welfen Angebote zu machen, um ihre Hilfe beim Papst zu erreichen.«
»Und du weißt das, weil …«, begann Judith, die bemerkt hatte, dass er in einem sehr bestimmten Tonfall von den Angelegenheiten des Würzburger Bischofs sprach. Die vertraulichere Anredeform glitt ihr über die Zunge, ehe sie darüber nachdachte; sie merkte erst, dass sie Walther wie einen Freund und Vertrauten angesprochen hatte, als sie Gilles lächeln sah. Zum Glück war Walther gerade zu beschäftigt damit, sich verlegen zu räuspern, um das zu bemerken.
»Weil ich seine rechte Hand erst auf den Gedanken gebracht habe. Wir sind unter deren Geleitschutz nach Braunschweig gekommen, Markwart und ich.«
Judith horchte in sich hinein, ob es sie wirklich kümmerte, dass Philipp möglicherweise einen seiner wenigen kirchlichen Anhänger verlor, und kam zu dem Schluss, dass es sie nicht weiter traf. Ob das nun an ihren eigenen Zweifeln lag oder an Walther, das wusste sie nicht. Auf jeden Fall war es ganz und gar nicht gut: Gleichgültigkeit war das Schlimmste, das ihr geschehen konnte. Sie konnte entweder Philipp dienen oder ihre Abscheu vor Otto überwinden, aber sie musste es mit Überzeugung tun, nicht halbherzig. »Wir müssen Philipp hinterherreisen«, sagte Judith deshalb bestimmt. Sie würde sich noch einmal überzeugen, ob er es wert war, ihm zu dienen. Das war
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