Das Spiel der Nachtigall
wurden, mit der Bitte, ihr doch Bericht zu erstatten, wie es um ihren lieben Herrn stünde.
Wenn es um die Verteilung von Erbe ging, hatte für gewöhnlich die Mutter ein Wörtchen mitzureden. Das war zwar nicht Gesetz, doch Walther erinnerte sich an seine eigene Familie; er vermutete, dass die Herzogin entweder wusste, was mit der beabsichtigten Teilung des Herzogtums vor sich ging, oder diese selbst angeregt hatte, als die beiden sich noch verstanden … vorausgesetzt, Hugo und die schöne Martha wussten wirklich etwas, das niemand erfahren sollte.
Als das nächste Mal eine der Mägde kam, machte er seine Verbeugung und erklärte, der Herzogin gerne Bericht vom Zustand des Herzogs erstatten zu wollen, und vielleicht auch mit ein paar Liedern ihre Sorge ein wenig zu lindern. Wie sich herausstellte, hätte er gar keine Entschuldigung vorzubringen brauchen: Die Aufmerksamkeit aller im Raum war auf einen Neuankömmling gerichtet, den neuen Medicus, der sein Glück am fiebernden Körper des Herzogs erproben wollte. Wie Schweine, wenn ein neues am Futtertrog erscheint, dachte Walther, dessen Meinung über Ärzte während der letzten Tage rapide gesunken war, und nutzte die Gelegenheit, so schnell wie möglich aus dem Gemach des Herzogs zu verschwinden.
Kapitel 3
E s gibt tausend Arten, seinem Vater zu sagen, wenn man etwas für einen guten Einfall hält, dachte Judith, als sie Klosterneuburg zum ersten Mal betraten, doch keine, die sicherstellt, dass dieser Vater auch auf einen hört. Seit sie in Wien von Vetter Salomon, dem herzoglichen Münzmeister, erfahren hatten, dass der Herzog an den Folgen einer Beinamputation dahinsiechte, hatte sie ihrem Vater damit in den Ohren gelegen, sich umgehend auf den Weg nach Klosterneuburg zu machen: »Die Söhne des Herzogs sollen alle Heilkundigen des Landes aufgefordert haben, ihrem Vater zu helfen.«
»Bin ich ein Österreicher? Nein.«
»Du bist ein Arzt, Vater. Ein viel besserer Arzt, als diese christlichen Toren es je sein könnten.«
»Ich bin ein Jude«, hatte ihr Vater unnachgiebig erklärt, »und noch dazu einer aus Köln, was bedeutet, dass keiner der hohen Herren hier Grund hat, mich zu schützen. Wenn der Herzog stirbt, dann werden sie einen Schuldigen suchen, und das wird gewiss nicht ihr eigener Medicus sein.«
»Vetter Salomon hat sein ganzes Leben hier verbracht und ist bis zum Münzmeister des Herzogs aufgestiegen. Er sagt, dass die herzogliche Familie gerecht sei. Und freigiebig«, schloss Judith bedeutsam, denn sie war sich sehr wohl bewusst, welche Opfer ihr Vater gebracht hatte, um Köln verlassen und mit ihr nach Salerno aufbrechen zu können. Er blieb unbeeindruckt.
»Es ist noch keine fünfzig Jahre her, da hätten meine Eltern das Gleiche von den Bürgern Kölns geschworen. Ich war nur ein kleines Kind damals, doch ich habe nie vergessen, wie sie von ihrem Kreuzzug wiederkehrten, diese gerechten, großzügigen Bürger, und Simon den Frommen in Stücke rissen, weil er sich nicht zum Christentum bekehren wollte.«
»Aber dich und deine Eltern haben sie nicht in Stücke gerissen. Du hast mir doch erzählt, dass eure Nachbarn euch sogar beschützt haben vor den Kreuzfahrern.«
»Dieser Herzog ist ebenfalls ein Kreuzfahrer«, sagte ihr Vater, »und seine Söhne haben gelobt, es ihm gleichzutun. Weißt du, wie dieser Herzog zu seinem neuen Wappen gekommen ist? Sein Waffenrock soll bei den Kämpfen um Akkon rot von Blut geworden sein; als er seinen Gürtel abnahm, war ein weißer Streifen dazwischen. Das war nicht nur Moslemblut, mein Kind. Keiner von den Christen unterscheidet zwischen uns und den Muslimen, wenn sie in das Land gehen, das unseres war, um es zu befreien, wie sie es nennen. Sie töten alle, die sich nicht befreien lassen wollen. Warum sollte ich also einem Mann helfen, der so viel Blut auf sich geladen hat und damit auch noch prahlt?«
Judith wechselte die Taktik. »Weil du Arzt bist«, sagte sie leise. »Du hast mich gelehrt, dass ein Arzt allen hilft, denn wenn man anfängt, zu entscheiden, wessen Leiden verdient sind, dann maßt man sich die Gewalt Gottes an.«
Ihr Vater, der all seine Söhne und Töchter hatte sterben sehen, bis nur noch sie übrig war, sah sie an und seufzte. »Du bist eine zu gute Schülerin, Judith.«
Sie spürte, dass er kurz davorstand, nachzugeben, und brachte ihr letztes Argument vor. »Rabbi Mosche ben Maimon wäre schon am Lager des Herzogs.«
»Rabbi Mosche ben Maimon ist vom Herrn gesegnet und der
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