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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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festhielten, waren aus graviertem Silber; um ein einfaches Mitglied des Hofstaates handelte es sich definitiv nicht.
    »Nun, Euer Gnaden …«
    »Wenn dieser Mann Euren Herzog retten kann und Ihr ihn nicht zu ihm lasst, dann habt Ihr am Ende sein Leben auf dem Gewissen. Von seiner ewigen Seligkeit ganz zu schweigen. Oder irre ich mich?«
    Der Haushofmeister murmelte etwas in seinen Bart, dann rief er einen Diener und beauftragte ihn, Judiths Vater zum Herzog zu führen. »Aber nicht das Weib«, setzte er mürrisch hinzu. »Selbst die Herzogin, Gott schütze sie, darf Seine Gnaden nicht in seinem Zustand sehen. Frauen haben inmitten von Blut und Eiter nichts verloren.«
    »Wann habt Ihr das letzte Mal einer Geburt beigewohnt?«, fragte Judith, ehe sie sich zurückhalten konnte. Diesmal schaute nicht nur der Haushofmeister, sondern auch Vetter Salomon sie tadelnd an. Ihr Vater seufzte und blickte enttäuscht, was schlimmer war. Der fremde Edelmann jedoch lächelte.
    »Ein Treffer, würde ich sagen. Gestattet mir, einen weiteren Vorschlag zu machen: Die Herzogin scheint mir selbst in einem beklagenswerten Zustand zu sein, und wen wundert das? Etwas Ablenkung würde der edlen Dame guttun. Schickt das Mädchen zu ihr, während ihr Vater den Herzog besucht.« Er ließ es so klingen, als sei Judith eine Jahrmarktsgauklerin, die Fackeln in die Luft werfen würde, aber sie war nicht dumm und hatte sehr wohl verstanden, dass er ihr gerade eine Audienz mit der Herzogin verschafft hatte, denn der Haushofmeister nickte zögernd. Natürlich wäre sie lieber an der Seite ihres Vaters geblieben. Sie hatte aber auch nicht vergessen, dass man vielleicht ihm die Schuld geben könnte, wenn der Herzog starb, weil es niemanden bei Hofe gab, der Grund hatte, ihn in Schutz zu nehmen. In Wien hatte sie geglaubt, dass er zu vorsichtig war, doch so, wie der Haushofmeister sich jetzt schon benahm, erschienen ihr seine Bedenken nicht mehr unwahrscheinlich. Die Gunst der höchsten Dame bei Hofe zu gewinnen, soweit es unter den momentanen Umständen machbar war, konnte da nicht schaden.
    »Es wäre mir eine Ehre«, sagte Judith so bescheiden wie möglich.
    Kurze Zeit später geleitete der fremde Edelmann sie und Vetter Salomon, der darauf bestanden hatte, sie zu begleiten, weil eine unverheiratete Frau seiner Familie auf gar keinen Fall allein mit einem Mann sein durfte, zum Gemach der Herzogin. Sie wusste nicht, warum der junge Mann so hilfsbereit und zuvorkommend war. Aus den Augenwinkeln warf sie ihm einen verstohlenen Blick zu. Er war kräftig, hochgewachsen und blond, und obwohl er vorhin erwähnt hatte, nicht freiwillig bei Hofe zu sein, bewegte er sich mit der Gewissheit eines Mannes, der erwartete, dass man ihm den Weg frei mache.
    »Wann werden Euer Gnaden uns denn verlassen?«, fragte Vetter Salomon gepresst.
    »Nicht, solange es dem Herzog so schlechtgeht«, sagte der Edelmann aufgeräumt und ohne jedes Bedauern über den Zustand des Herzogs. »Selbstverständlich bin ich froh, dass Bischof Wolfger ihn überzeugen konnte, mich gehen zu lassen, aber ich würde meinem Onkel gerne genauere Kunde über den Herzog bringen, wenn ich nach Aquitanien zurückkehre.«
    »Rabbi Josef wird sein Möglichstes tun«, sagte Salomon vorsichtig, »aber der Herr allein entscheidet …«
    »Natürlich. Und ich bin eigentlich auch sicher, dass er bereits entschieden hat.« Der Edelmann lächelte noch immer. »Warum, glaubt Ihr, habe ich mich sonst dafür eingesetzt, dass Eurem Vetter Zugang zu dem Herzog gewährt wird?«
    In den Gängen der Residenz war die Kälte des Wintertags der dumpfen Wärme von zahlreichen Fackeln an den Wänden und von vielen Menschen gewichen, doch bei diesen Worten war es Judith, als träufele Eiswasser ihren Rücken herab. Ein Missverständnis, sagte sie sich . Er spricht nicht seine Muttersprache, das ist bei diesem Akzent offensichtlich, und er will eigentlich nur sagen, dass er Vertrauen in meinen Vater hat. Doch warum sollte er das? In einen völlig fremden Mann?
    »Euer Gnaden?«, fragte Salomon unsicher.
    »Ich hoffe, dass er so qualvoll wie möglich zur Hölle fährt und dass das Letzte, was er auf Erden sieht, kein Priester ist, sondern ein gottverfluchter Jude«, sagte der Edelmann und schmunzelte vergnügt.
    Judith kam es vor, als hätte er sie ins Gesicht geschlagen. Ihr war nicht mehr kalt, im Gegenteil, sie brannte vor Zorn. Vor Zorn und Furcht. Hatte sie ihren Vater in sein Verderben geführt? Jede Vorsicht hinter

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