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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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und die Hölle auf Erden losbrach.« Er schaute Judith nicht an; stattdessen starrte er auf das Kreuz vor ihnen, während er ihr erzählte, was wirklich geschehen war an dem Tag, der ihrem Vetter das Leben gekostet hatte. Ein paarmal spürte er sie zusammenzucken, aber sie sprach nicht und machte keine Anstalten, ihre Hand aus der seinen zu lösen.
    »Und dann bist du weggelaufen?«, fragte sie heiser. Er nickte. »Du hast mich aber glauben lassen, dass du selbst einer der Mörder warst.«
    »Ich habe nichts getan, um es zu verhindern.«
    Nun riss sie ihre Hand fort. »Das ist nicht dasselbe«, fuhr sie ihn wütend an. »Was dein Lehrer getan hat, das war Beihilfe zum Mord. Was du getan hast, war, dein eigenes Leben zu retten. Das war vielleicht feige, aber nicht mehr.«
    Immer, wenn Walther glaubte, er verstünde sie, fand sie einen Weg, ihn wieder zu verwirren. »Und nun bist du zornig auf mich, weil ich keinen deiner Verwandten getötet habe?«
    »Ich bin kein Werkzeug, um sich selbst zu bestrafen, wie diese Geißeln, mit denen ihr Christen euch auf den Rücken schlagt, aber du, du hast mich wohl dazu machen wollen! Weißt du, wie sehr ich mich verabscheut habe, als ich dich in Nürnberg geküsst habe? Ich dachte, ich sei die schlimmste Verräterin an meinem Volk über alle Zeiten! Ich dachte, alles sei besser, als Gefühle für einen unserer Totschläger zu haben!«
    Ihr Gedankengang war für ihn nicht ganz nachvollziehbar, aber immerhin erfasste er etwas für ihn Wesentliches an ihrem Ausbruch. »Deine Lippen sagen häufig etwas anderes, als man von ihnen ablesen kann. Was jetzt da stand, war, dass du in Nürnberg bereits in mich verliebt warst, richtig?«
    Judith holte tief Luft, wie um ihn anzuschreien, stieß den Atem wieder aus und sagte gepresst: »Ich glaube, ich verstehe jetzt, wie dieser Reinmar zum Mord getrieben wurde.«
    In das erneute Schweigen zwischen ihnen murmelte Walther: »Es tut mir leid.«
    »Was? Dass du fortgerannt bist? Dass du diesen Reinmar übertrumpfen musstest? Dass du im Unfrieden mit ihm auseinandergegangen bist? Oder dass du mich in dem Glauben gelassen hast, dass ich in einen mörderischen Gojim verliebt bin statt nur in einen unerträglichen?«
    »Ich bin nicht im Unfrieden mit Reinmar auseinandergegangen, und wenn ich nicht mit ihm gewetteifert hätte, dann würde ich heute noch nachahmen, statt selbst eine Stimme zu haben«, gab er zurück. Während er es sagte, löste sich etwas von der erstickenden Beklemmung in ihm. »Aber alles andere tut mir leid.«
    Judith machte keine Anstalten, ihm ihre Hand zurückzugeben, und verschränkte ihre Arme ineinander, doch sie blieb neben ihm sitzen.
    »Wenn ich dir schwöre, dass ich keine Absicht habe, dich für mich zu einer Geißel zu machen, kann ich dir dann noch etwas gestehen, was mir zusätzlich im Magen liegt?«
    Judith warf ihm einen Seitenblick zu. »Du überlegst dir, ob du an den Hof zu Wien zurückkehren kannst, wo Reinmar tot ist und Leopold noch keinen Nachfolger zur Hand hat.«
    Er wusste nicht, ob er es verstörend oder beruhigend fand, dass sie ihn so genau durchschauen konnte, vor allem, weil er auf diesen Gedanken nicht stolz war. Reinmar war tot; soweit es Walther betraf, war er gerade erst gestorben. Da sollte es möglich sein, ein paar Tage lang nur über Reinmar selbst und all das Gute und Schlechte zwischen ihnen nachzugrübeln, ehe er anfing, nachzuzählen, was er durch seinen Tod erreichen konnte. Es war gierig und schäbig, aber der Gedanke war ihm in der Tat gekommen, zusammen mit all den anderen.
    »Du kannst aufhören, ein schlechtes Gewissen deswegen zu haben«, sagte Judith sachlich. »Ich glaube nämlich nicht, dass der Herzog von Österreich dir Reinmars Platz an seinem Hof geben wird.«
    »Und warum nicht?«, fragte Walther gekränkt. »Ich bin inzwischen durchaus berühmt im Reich. Vielleicht noch nicht der berühmteste Sänger, aber auf dem Weg dorthin, und ganz offen, nach Reinmars Tod gibt es am Wiener Hof niemanden, der auch nur annähernd so gut sein kann wie ich.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Wenn du auf deinem Sterbebett liegst, von tausend Krankheiten dahingestreckt, dann werde ich nur zu sagen brauchen, dass die Welt immer noch nicht von deiner Dichtergabe überzeugt ist und drei andere Sänger für besser hält, und du wirst aufspringen und gesund sein, um sie alle eines Besseren zu belehren.«
    Er legte seine Hand aufs Herz. »Ich? Ganz im Gegenteil … ich würde bereits bei der Nennung

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