Das Spiel der Nachtigall
wohlgetan;
Sie betrügt fürwahr ein eitler Wahn,
Wenn sie das nicht glaubt.
Wo sie lebt, da gibt’s wohl tausend Mann
Schöner von Gesicht.
Wenn ich eine schöne Kunst auch kann,
Bin ich schön doch nicht.
Ist die Kunst auch klein:
Dennoch soll sie allen Leuten
Allenthalben Freud bereiten,
Allen sein gemein.
Wenn für Schönheit Kunst sie nehmen kann,
Hegt sie edlen Mut;
Will sie das, so steht es wohl ihr an,
Was sie an mir tut.
So will ich mich neigen
Und vollbringen, was sie will.
Was bedarf es dann des Zaubers viel?
Ich bin doch ihr Eigen!
Hört nun, wie sie Zauberkünste übt
An mir alle Zeit:
’s ist ein schönes Weib, das Klugheit liebt
Und die Heiterkeit.
Dass sie mehr ersonnen,
Kann ich nimmer zugestehn:
Nur ihr zauberischer Liebreiz schön
Schafft mir Lieb und Wonnen.
Der Bischof blinzelte erstaunt, als Walther das Lied zu Ende gebracht hatte. Dann klatschte er zögernd; seine Leute stimmten mit ein. »Nun«, sagte Konrad, »das ist … etwas anderes. Ich glaube nicht, dass sich Euer Lied als Allegorie auf Jesus und seine Kirche eignet, Herr Walther.«
»Mit Verlaub, Euer Gnaden, unser Herr Jesus und seine Kirche verdienen ihre eigenen Lieder. Andere Dichter mögen es halten, wie sie wollen, aber wenn ich über irdische Liebe schreibe, dann ist es irdische Liebe.«
»Aber kann denn erfüllte Liebe ein der Poesie würdiges Thema sein?«, fragte der Bischof zweifelnd. »Ich weiß, dass die menschlichen Körper zueinandergetrieben werden, aber das genau ist es, was wir mit den Tieren gemeinsam haben.«
»Euer Gnaden«, sagte Judith, die bisher ein ausdrucksloses Gesicht gemacht hatte, an dem Walther nichts ablesen konnte, »Gott hat unsere Körper so erschaffen, dass die Säfte erst dann ins Gleichgewicht kommen, wenn Mann und Frau einander beiwohnen. Gottes Schöpfung so zu besingen, wie er das geplant hat, ist dann doch gewiss eine würdige Beschäftigung.«
»Vielleicht«, sagte der Bischof, »doch ich muss zugeben, dass mir die Kunst des Herrn Reinmar mit ihrem Preis der Entsagung doch lieber ist. Zu schade, dass er von uns genommen wurde.«
Walther war so sehr damit beschäftigt, Judith anzuschauen, dass ihm die letzte Bemerkung des Bischofs beinahe entgangen wäre. Konrad war bereits zu seinen Plänen bezüglich ihrer Reise nach Franken übergegangen und seiner Hoffnung, den größeren Teil per Schiff auf dem Main zurücklegen zu können, als ihm bewusst wurde, was der Bischof gesagt hatte.
»Verzeiht, Euer Gnaden – Herr Reinmar ist … tot?«
»Es steht Euch nicht zu, den Bischof zu unterbrechen, Herr Walther«, sagte Botho. Konrad runzelte ebenfalls die Stirn, doch war immerhin bereit, eine Antwort zu geben.
»So heißt es aus Österreich. König Philipp hat den Herzog Leopold zum Weihnachtsfest nach Magdeburg gebeten, und der Bote, der uns die Zusage überbrachte, erzählte, dass Wien nun ohne seinen edelsten Sänger sei.«
Walther war einmal als Kind mit der Nase im Schlamm gelandet; für einen Moment war es unmöglich gewesen, zu atmen, bis er sich aufrappelte. Geradeso fühlte er sich jetzt.
Sie waren immer noch im St.-Josefs-Kloster, und so fand Walther schnell die Kapelle der Mönche. Es war keine Gebetsstunde, daher konnte er dort alleine sein.
Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen und ein Gebet für Reinmar zu sprechen, aber es fiel ihm schwer. Zu viele widersprüchliche Empfindungen zogen ihn in zu unterschiedliche Richtungen.
Als er Schritte auf dem Steinboden der Kapelle hörte, blickte er auf. Judith setzte sich neben ihn. Es wurde ihm bewusst, dass er sie noch nie in einer Kirche gesehen hatte.
»Er war mein Lehrer«, sagte Walther, »und der Erste, den ich wirklich beeindrucken wollte mit den Versen, die ich schuf. Er hat mich so viel gelehrt, auch wenn er darunter bestimmt etwas anderes verstand als ich: dass Schönheit und Vollkommenheit wandelbar sind, wogegen das Einfache und Natürliche in Ewigkeit bleibt. Aber es hat auch Zeiten gegeben, da wollte ich nichts mehr, als mich über ihn lustig machen, über ihn und seine Regeln und seine alte Welt.«
Judith sagte nichts; sie ergriff nur schweigend seine Hand. Ihre schlanken Finger waren kühl in den seinen. Seine Kehle erschien ihm zusammengeschnürt, und doch sprach er weiter, als hätte ihre Anwesenheit einen Damm in ihm geöffnet.
»Ich wusste, dass er mir manchmal grollte deswegen, aber ich habe nicht verstanden, wie tief seine Bitterkeit reichte, bis … bis zu jenem Abend, an dem wir in eine Schenke gingen
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