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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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geschmiedet hatte. Doch was auch immer am nächsten Tag geschehen würde, sie konnte keinen Weg erkennen, der einen guten Ausgang für alle Beteiligten versprach.
    Der Morgen brachte noch immer keinen Schnee, aber scharfen Wind. Judiths Gesicht war taub von der Kälte, als sie Würzburg erreichten. Die Stadtwache ließ sie, Walther und Paul ohne weiteres durch; sie waren mit dem König so oft hier gewesen, dass man sie erkannte.
    Hinter dem Tor verabschiedete sich Walther von ihnen. »Um nicht den Zugang zum Bischof durch meinen Ruf zu erschweren«, sagte er mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. »Ich werde in der Schenke Zum Roten Adler warten.« Paul blickte verwundert, doch wirkte erleichtert.
    »Es ist nicht so, dass ich seine Lieder nicht schätze«, sagte er zu Judith, während sie auf die Feste zuhielten. »Man singt sie sogar in Köln. Und sie sind viel besser als die der anderen großen Sänger, finde ich. Mit deren entsagungsvoller Liebe habe ich mich nie anfreunden können, aber sag das Mutter nicht. Die Sache ist nur die, ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass ein Jugendfreund des Papstes glücklich über …«
    »Deswegen hat er sich ja zurückgezogen«, sagte Judith knapp.
    »Hast du ihn geheiratet?«, platzte es aus Paul heraus.
    Sie war überrascht. Es war eine Frage, in der sie keinen Hintergedanken erkennen konnte, und sie wünschte sich, Paul wäre wirklich nichts als ihr kleiner Vetter, der sie vor langer Zeit einmal verdächtigt hatte, mit Walther fortlaufen zu wollen.
    »Ich bin verheiratet«, gab sie zurück. Es war die offizielle Wahrheit: Ihre Ehe mit Gilles war nie aufgelöst worden, wenn sie denn überhaupt mangels einer vorhergegangenen Taufe Gültigkeit hatte, was sie bezweifelte. Diese Überlegung behielt sie seit Jahren für sich, weil sie den Schutz nicht verlieren wollte, unter dem sie als verheiratete Frau und vermeintliche Christin stand. Sie hatte auch niemandem verraten, dass ihre Ehe mit Gilles nach jüdischem Recht nicht bestand; selbst, wenn sie von hundert Rabbinern gesegnet worden wäre, war die Ehe mit einem Nichtjuden nicht gültig. Auch Walther müsste Jude werden, damit sie in ihren eigenen Augen mit ihm verheiratet wäre, und sie wusste, dass so ein Übertritt von ihm nicht zu erwarten war. Er mochte dem Papst zürnen und gerne über gierige Bischöfe und Priester spotten, aber er hatte sein Christentum selbst nie in Frage gestellt. Im Gegenteil. Wenn ihre Ehe mit Gilles nicht bestünde, würde Walther sie sofort in einer Kirche heiraten wollen, und wenn sie ihm eröffnete, dass sie nicht die geringste Absicht hatte, sich ohne Zwang und Bedrohung ihres Lebens von einem Priester taufen und trauen zu lassen, dann würde ein Streit zwischen ihnen vom Zaun brechen, der sich nicht so schnell beilegen ließ. Also war es weit besser, für die Welt die Gemahlin eines verschollenen Christen zu sein. Das traf auf mehr und mehr Frauen zu, je länger der Krieg dauerte, und niemand bezweifelte ihre Geschichte. Walther sagte sie, dass sie lieber der Ehrlichkeit seiner Liebe vertraue als irgendeinem gesetzesmäßigem Bund, vor allem, weil sie seine Meinung über Gesetze kannte. Da er ein Mann war, glaubte er ihr.
    »Ich wünschte, du wärest nicht aus Köln weggegangen«, sagte Paul. Judith seufzte. Ihr Blut strömte wieder schneller durch die Adern, und sie spürte, wie kalte Starre einem prickelnden Brennen wich.
    »Was geschehen ist, ist geschehen, Vetter.«
    »Ja«, sagte er und warf ihr einen eigenartigen Blick zu. »Und wir können nur alle versuchen, das Beste daraus zu machen, nicht wahr?« Er klang drängend, als sei es ihm sehr wichtig, dass sie ihm zustimmte, und sie nickte.
    Sie befanden sich zwischen Stadtkern und Feste, als Judith Menschengeschrei hörte, ein Wirrwarr, das nur von einer aufgebrachten Menge stammen konnte, hoch und nieder wogend wie brechende Wellen, die ihr entgegenschlugen. Sie beschleunigte ihre Schritte, dem Geschrei entgegen; bald konnte sie einzelne Worte ausmachen.
    »Mord! Mord!«
    »Greift ihn, fasst ihn, schlagt ihn tot!«
    »Mord!«
    Sie spürte kein Entsetzen. Sie spürte überhaupt nichts, nur das Brennen in ihren Adern.
    »Greift den Ravensburger!«
    Was war das? War der Mörder erkannt worden?
    Schon strömten ihnen schreiende, heulende Menschen entgegen, Frauen, die sich die Haare rauften, Männer, die sich mit Knüppeln bewaffnet hatten. Judith griff sich eine der Frauen.
    »Was ist geschehen, Gevatterin?«
    »Man hat

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