Das Spiel der Nachtigall
hat Vater nie wieder vertraut, und der Erzbischof auch nicht. Dann hat König John auch noch versucht, die englischen Vergünstigungen für Köln zu verringern, um Geld zu sparen. Aber dieser Tod, den wird Philipp nicht mehr los, ganz gleich, was dein Walther den Leuten erzählt. Auch der Papst wird nichts anderes glauben und nie verzeihen. Jetzt kann er Ottos Seite gar nicht mehr verlassen.«
»Und Otto wird Stefan so dankbar sein, dass er ihn zu seinem Lieblingsratgeber macht?«, fragte Judith hart.
»Nicht allein dafür«, erwiderte Paul wütend und ängstlich zugleich. »Er wird Vater dankbar sein, weil er … weil er endlich dich bekommt!«
Judith trat zurück. Ihre Arme sanken zur Seite.
»Was?«, fragte sie ungläubig.
»Schau mich nicht so an! Es ist ein gutes Schicksal, Geliebte eines Königs zu sein! Genau wie …«
»Wenn du Esther sagst, schlage ich dir ins Gesicht, Vetter, also lass es lieber!« Es würgte sie in der Kehle, und sie wusste, dass sie ihre Selbstbeherrschung nicht mehr lange aufrecht halten konnte. »Wenn dein Vater wirklich glaubt, dass jemand wie Otto mehr von mir will als eine Stunde, in der er sich für eine Kränkung rächen kann, dann hat er den Verstand verloren.«
Sie wusste nicht, ob diese Möglichkeit schlimmer oder besser war als die, dass es Stefan durchaus klar war, dass Otto nie die Rolle des König Xerxes spielen würde, und dass ihr Onkel trotzdem bereit war, ihm seine Nichte zu verkaufen, um seinen Verlust an Einfluss wieder wettzumachen.
»Sprich nicht so über meinen Vater! Du bist die Verräterin«, stieß Paul hervor. »Du hast ein gutes Leben gehabt bei den mörderischen Schwaben, während sie meine Freunde umgebracht haben. Ich wünschte, ich hätte dir nie geholfen, dann wäre das alles nicht geschehen!«
Sie bemerkte, dass er über ihre Schulter blickte. Die Zeit, in der sie ihn überrumpelt und die Wahrheit aus ihm herausgeholt hatte, war vorbei. Jetzt durfte sie nicht darüber nachdenken, was ihr das neue Wissen bedeutete, sie musste ihr Leben retten. Mit wem auch immer Paul verabredet war, um die Falle zuschnappen zu lassen, stand nun wohl nicht weit hinter ihr.
Judith duckte sich zur Seite, keinen Moment zu spät, denn aus den Augenwinkeln sah sie, wie zwei Hände an ihr vorbeigriffen und eine große Schulter gegen Paul stieß. Sie rannte die Gasse entlang, während Pauls Stimme hinter ihr etwas rief, das sie nicht verstand. Am Ende der Gasse konnte sie zwei weitere Männer sehen, die eindeutig nicht so wirkten, als gehörten sie zu den aufgebrachten Würzburgern; dazu standen sie zu gelassen da, fast auf den Zehenspitzen wippend, die Arme leicht ausgebreitet, auf Judith wartend. Hinter sich hörte sie Schritte. Das Schreien und Wehklagen der Menge wurde lauter, und Judith wusste, dass sie nur dann entkommen würde, wenn es ihr gelang, unter den entsetzten Bürgern der Stadt unterzutauchen, selbst auf die Gefahr hin, von dem Menschenstrom erdrückt zu werden. Ohne langsamer zu werden, brüllte sie, so laut sie konnte: »Dort stehen die Mörder! Rächt Bischof Konrad!«
Die beiden Männer vor ihr machten verdutzte Gesichter. Einer drehte sich unwillkürlich zu der breiteren Straße um, in welche die Gasse mündete und durch die inzwischen halb Würzburg zu ziehen schien. Judith setzte alles auf einen Wurf. »Hier sind die Mörder«, schrie sie noch einmal und deutete auf die beiden. Sie sah, wie sich wütende Gesichter in die gewiesene Richtung drehten und auf sie und die beiden Männer zustürmten; obwohl auch die beiden Häscher noch dort standen, lief Judith direkt auf sie zu und in das Getöse aus Entsetzen und Rachlust hinein.
Kapitel 31
S ich Bischof Wolfger anzuvertrauen, ehe sie Nürnberg verließen, war ein Glücksspiel gewesen, doch wie Walther fand, ein zu rechtfertigendes. Anders als bei Philipp oder Heinz von Kalden konnte man bei Wolfger davon ausgehen, dass er seinen Mitbischof nicht tot sehen wollte, ob nun aus christlichem Mitgefühl oder der vernünftigen Erkenntnis, dass der Tod eines Amtsbruders ein gefährliches Vorbild schaffen mochte. Gleichzeitig konnte jemand von Wolfgers Autorität auch Judith bei Irene entschuldigen, wenn er vorgab, sie sei auf seinen Wunsch nach Würzburg gegangen. Außerdem empfahl Walter dem Bischof, er solle selbst einen Eilboten zu Konrad schicken, welcher die Strecke mit zwei Pferden an einem Tag schaffen konnte. Einen Gesandten des Bischofs von Passau, dem neuen Patriarchen von Aquileja, würde
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