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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ersten Mal blickte Paul schuldbewusst drein, wie früher, wenn er zu viel Honigkuchen gegessen hatte. »Er war sehr zornig, als du gegangen bist«, murmelte er. »Aber er macht sich auch wirklich Sorgen um dich. Hilf uns, bitte.«
    Sie dachte daran, wie Stefan Richildis’ Dienerin geopfert hatte. Es war ihm durchaus zuzutrauen, solche Bedingungen zu stellen: nicht mehr und nicht weniger als ein Menschenleben.
    »Ich habe es nie gut vertragen, die Maus in einem Tretrad zu sein. Nein, ich werde den Erzbischof nicht ungewarnt sterben lassen, aber wenn dein Vater glaubt, dass er mich bewegen kann wie eine Figur auf einem Schachbrett, dann wird er feststellen, dass ich inzwischen ebenfalls spielen kann. Der Bauer ist zur Dame geworden, und Damen können sich auf dem Schachbrett bewegen, wohin sie wollen.«

    Vor Walther gab sie sich weniger selbstsicher. »Ich kann zu Irene gehen, ja, aber obwohl ich glaube, dass sie dafür spräche, Konrad nur als Geisel zu nehmen, heißt das nichts.« Philipp und Irene standen einander nahe, und oft bat er sie um ihre Meinung, aber bei einer solchen Angelegenheit würde er wohl eher auf Heinz von Kalden hören. Dass dieser davor zurückschrecken würde, das Blut eines Bischofs zu vergießen, der mit allen Geheimnissen des Reiches vertraut war, erschien ihr dagegen immer unwahrscheinlicher, je mehr sie darüber nachdachte.
    »Vielleicht könnte man einen Handel abschließen«, schlug Walther vor. »Das, was du gehört hast, und das, was der Bischof von Passau mir erzählte, lässt es doch so aussehen, als ob Philipp seinem Schwager dabei helfen will, Byzanz zu gewinnen. Und der einzige Grund, warum das den Papst für Philipp gewinnen könnte, ist, wenn Alexios verspricht, das Schisma zu beenden und die griechische Kirche wieder mit der römischen zu vereinen.«
    Die Unterschiede zwischen dem römischen und dem griechischen christlichen Glauben hatten sie nie gekümmert. »Was lässt sich dadurch denn erhandeln?«
    »Innozenz müsste ihn dafür zum Kaiser machen. Philipp kann aber nicht einen Erzbischof umbringen lassen, der noch dazu ein Jugendfreund des Papstes ist, und erwarten, dass er dann verkündet, Philipp sei nun doch der wahre deutsche König, und alle sollten seinem Banner gegen Byzanz folgen, damit die Kirche wieder geeint wird.« Walther legte die Stirn in Falten. »Vielleicht hoffen er und Heinz von Kalden, dass der Tod von Konrad wie ein Unfall wirkt, ganz gleich, was die Welfen behaupten, aber der Papst wird es niemals glauben. Nein, es ist in jeder Hinsicht der falsche Zeitpunkt, um ein solches Verbrechen zu begehen, ob Philipp dazu fähig ist oder nicht, und bedenke, der Mann ist in einem Kloster aufgewachsen.«
    »Vielleicht kommt es aber auch genau umgekehrt«, sagte Judith und stieß heftiger in den Mörser, in dem sie Möhren zermahlte, die sie für einen Trank brauchte. »Vielleicht glaubt er, weil er dem Papst ein solches Angebot machen kann, wird der den Tod eines einzelnen Mannes übersehen.«
    »Ich könnte nach Würzburg gehen«, schlug Walther vor.
    »Nach den Liedern, die du in den letzten Jahren über den Papst verfasst hast? Konrad wird dich zwei Tage auf den Knien warten lassen, ehe er dich empfängt, doch dann ist er tot.«
    Walther trat hinter sie und erfasste ihre Schultern. »Selbst wenn es so kommt«, sagte er ernst, »dann wäre es Philipps Schuld, die des Reichshofmarschalls und derjenigen, die diese Tat ausführen. Vielleicht auch die deines Onkels, weil er Heinz von Kalden eine Nachricht über die Pläne des Kanzlers zukommen lässt. Aber nicht deine.«
    Es kam ihr über die Lippen, ehe sie es zurückhalten konnte: »Wegschauen und fortlaufen, wenn man weiß, dass ein Mord geplant ist, das macht einen nicht weniger schuldig.«
    Sie spürte, wie ein kleiner Ruck durch ihn ging. »Das war es nicht, was du in Braunschweig gesagt hast«, sagte er tonlos.
    »Es war nicht in Braunschweig, sondern irgendwo in Sachsen, und jetzt habe ich nicht dich gemeint.«
    »Aber das ist es, was du wirklich glaubst, nicht wahr? Ein nicht verhinderter Mord ist immer noch Mord.«
    Sie drehte sich zu ihm um. In den letzten zwei Jahren war er ihr vertraut geworden wie der Rücken ihrer Hand; manchmal war er blind, doch manchmal sah er klarer als sie selbst. Was diesmal der Fall war, wusste sie nicht. Aber sie konnte nicht lügen.
    »Ja«, sagte sie leise. »Das glaube ich.«
    Einen Herzschlag lang schwieg er. Sie konnte seine Miene nicht lesen, doch dann nickte er.

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