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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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unseren hochwürdigsten Herrn Erzbischof erschlagen, auf dem Weg zum Dom! Einer von seinen eigenen Leuten!«
    »Botho war’s, Botho von Ravensburg, sein eigener Dienstmann«, schluchzte eine andere Frau und taumelte voller Verzweiflung und Trauer davon.
    »Gott sei seiner Seele gnädig«, murmelte Judith, weil es die erwartete Antwort war und sie das Kaddisch nicht sprechen durfte. Alles in ihr brannte vor Zorn. Sie wirbelte herum und presste Paul mit ungeahnter Kraft gegen die nächste Hauswand, beide Hände auf seinen Schultern. »Wie fühlt sich Blut an deinen Händen an, auch wenn du es nicht selbst vergossen hast?«
    »Aber du« widersprach er und starrte sie mit erschrocken aufgerissenen Augen an.
    Judith gab ihm noch einen Stoß. »Tu nicht so, als ob du es nicht gewusst hast!«
    »Ich wusste, was du wusstest! Dass ein Bote unterwegs ist! Wenn wir durchgeritten wären …«
    »Versuch erst gar nicht, mir etwas vorzumachen«, sagte Judith kalt. »Dein Vater hätte Mord oder Warnung nie dem Zufall überlassen, o nein! Noch nicht einmal Philipps oder Heinz von Kaldens Befehl, weil er nicht mit völliger Gewissheit wissen konnte, was sie tun würden. Er hat deshalb entschieden, dass Philipps Kanzler auf Ottos Seite zwar ein Vorteil wäre, aber eben doch nur ein zeitweiliger, genau wie Ottos Bruder auf Philipps Seite. Aber ein toter Märtyrer? Das könnte den Ausschlag geben. Ganz gleich, was ich gesagt oder getan hätte, Konrad war für euch schon seit Wochen ein toter Mann.«
    »Aber … aber wenn du wusstest, wieso bist du dann mit mir gekommen?«, fragte Paul fassungslos.
    Sie packte ihm am Kragen und begann, ihn zu schütteln. »Weil ich gehofft habe, dass ich mich irre! Oder es doch noch verhindern zu können. Paul, ein Mann ist tot, nicht, weil er dich angegriffen hat, nicht, weil er deine Freunde angegriffen hat, sondern weil das ein paar Kölnern so ins Zeug passte, und einer davon bist du!«
    »Aber …«
    »Er war so lebendig wie du und ich, Paul«, schrie Judith und ließ ihn los. »Er mochte Schweinebraten und Lieder. Er bildete sich ein, krank zu sein, wenn ihn seine Sorgen zu sehr drückten. Er war kein Heiliger, er liebte seine Ämter und Einkünfte so sehr wie die meisten Menschen, aber er scheint auch das Beste aus ihnen gemacht zu haben. Sieh dich doch um: Die Menschen hier, die trauern um ihn. Sie lechzen jetzt nach Blut. Was glaubst du, was sie tun, wenn sie erfahren, dass hier einer von denen ist, die Botho den Mord aufgetragen haben?«
    Nun zitterten seine Lippen; all die erlernte Härte war von ihm abgefallen. »Das würdest … das würdest du nicht tun, Jutta.«
    Sie trat noch einen Schritt an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr, so, wie er es bei ihr in der Kirche getan hatte: »Was hat dein Vater für mich geplant? Nur das will ich wissen. Warum wollte er mich unbedingt an diesem Tag in Würzburg haben?«
    »Woher …«
    »Glaubst du, ich bin dumm?«, fuhr sie ihn an, um ihm keine Zeit zum Nachdenken zu geben. »Wenn du wissen möchtest, was Walther jetzt gerade tut: Er spricht mit Bothos größtem Rivalen unter den Dienstleuten darüber, dass die Welfen versuchen, den Staufern einen Mord anzuhängen, mit Hilfe des bestochenen Bothos von Ravensburg. Wir sind eine Zeitlang mit diesen Männern gereist, Paul, und das hat genügt, um uns zu zeigen, wie sie zueinander stehen. Wer bestechlich ist und wer nicht.« »Walther hat doch überhaupt nicht wissen können, dass es Botho sein würde«, sagte Paul verzweifelt, was bestätigte, dass er es gewusst hatte, die ganze Zeit schon. Enttäuschung sickerte in den Zorn, der Judith aufrechterhielt, und fing an, ihn zu zersetzen. Sie versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen, und noch weniger, dass sie log; Walther hatte seit Jahren mit den Dienstleuten des Bischofs kein Wort mehr gewechselt und konnte sich außer an Botho bestimmt an keinen von ihnen erinnern. Sie hatte hoch gespielt und gewonnen, aber freuen konnte sie sich nicht.
    »Das war nicht schwer zu erraten«, sagte sie deshalb so verächtlich wie möglich. »Botho ist der Neffe des Reichshofmarschalls. Nur er konnte den Mord riskieren, ohne dafür sofort gevierteilt zu werden.«
    Das Geschrei in der Stadt wurde von mehr und mehr Kehlen aufgenommen; mittlerweile schienen die Schreie aus jedem Haus widerzuhallen.
    »Es ist deine Schuld«, flüsterte Paul. »Du hättest nicht fortgehen sollen. Seit du in Brabant warst, haben die Schwierigkeiten mit König Otto nicht mehr aufgehört. Er

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