Das Spiel der Nachtigall
versuchte, sie zu wärmen, und fragte leise: »Des Mordes wegen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich wusste bereits, dass er nicht vor Mord zurückschreckt, wenn er ihn für nötig hält. Was sonst war der Tod von Richildis’ Dienstmagd? Sie ist genauso tot wie jetzt Konrad, nicht weniger ermordet, weil er es damals durch eine falsche Beschuldigung getan hat, statt wie jetzt durch einen Dienstmann und dessen Schwert.« Sie schlang ihre Arme noch fester um ihn und flüsterte in seine Halsgrube: »Sie wollten mich an Otto verkaufen. Alle beide. Selbst … der Junge.«
Der Schnee um sie wurde dichter, und er spürte, wie die Flocken auf seiner Haut schmolzen.
»Verrat ist das Schlimmste«, sagte Judith. Er wusste nicht, warum, denn er hatte sie nie verraten, aber einen Herzschlag lang hörte er es als Anklage, doch der kalte Wind nahm ihm den Atem, als er unwillkürlich den Mund öffnete, um zu protestieren. Dann holte ihn die Wirklichkeit wieder ein, und er hielt sie nur noch fester.
* * *
Philipp traf mit seinem Hofstaat nur drei Tage später in Würzburg ein. Alle Kleriker der Stadt hatten sich vor den Toren versammelt, um ihn zu erwarten. Sie zeigten ihm die blutigen Kleider Konrads und ein Stück verwesendes Fleisch, das er durch die Ringe als dessen Hand erkannte.
»So hat Bischof Konrad versucht, sich vor seinem Mörder zu schützen!«, klagte der Dompropst.
Philipps eigene Hand krampfte sich unwillkürlich zusammen, und Irene umfasste sie, damit es niemand sah. »Gott sei seiner Seele gnädig«, stieß er hervor; seine Stimme klang rauh. Irene konnte sehen, dass Tränen seine Wangen hinunterliefen.
»Der König und ich«, sagte sie in ihrem besten Deutsch, »trauern um Bischof Konrad und verurteilen die schändliche Tat.«
»Aber werden die Mörder auch bestraft werden?«, fragte der Dompropst und schaute direkt zu Heinz von Kalden, der schräg hinter dem König stand. Irene spürte, wie Philipps Hand in der ihren zuckte, doch äußerlich ließ er sich nichts anmerken.
»Mord ist Mord, und Mord findet seine Strafe«, sagte er laut.
Manchmal wünschte sie sich, sie hätte weniger Glück in ihrer Ehe gefunden. Wenn ihr Philipp gleichgültig wäre oder wenn sie ihn wie seinen verstorbenen Bruder hassen könnte, dann wäre die Lage für Irene jetzt einfach. Nicht nur wäre sie selbstverständlich davon ausgegangen, dass ihr Gemahl seinen ehemaligen Kanzler hatte ermorden lassen, wie es auch die meisten byzantinischen Kaiser getan hätten. Es würde sie auch nicht weiter kümmern, dass seine Seele damit zur ewigen Verdammnis verurteilt wurde, denn da er vom Papst gebannt war, konnte er nicht beichten und die Absolution erlangen. Doch wie die Dinge nun einmal lagen, war es ihr nicht möglich, gleichgültig zu sein. Sie hatte geglaubt, dass Philipp von dem möglichen Seitenwechsel des Kanzlers nichts gewusst hatte, bis Bischof Wolfger ihnen darüber berichtete. Nicht nur, weil der Mord an Konrad ein Verbrechen war, auch, weil er das Schlimmste und Törichtes war, was ihr Gemahl in seiner Lage hätte tun können, und sie achtete ihn zu sehr, um ihn dessen für fähig zu halten.
Sie wollte sogar an die Unschuld des Reichshofmarschalls glauben; nun, das war schwerer zu leisten. Konrad war diesem immer ein Dorn im Auge gewesen, und Botho war sein Neffe. Außerdem war sich Irene des Hauptgrundes bewusst, warum sie nicht Heinz von Kalden als Auftraggeber für Konrads Tod wollte: Er war Philipps starker Arm und sein Schild. Philipp konnte nicht auf ihn verzichten, selbst wenn es Heinz von Kaldens eigenes Schwert gewesen wäre, das Konrad gefällt hatte. Wenn sie es wusste, dann war dieser Umstand Heinz von Kalden erst recht klar. Sollte er aber unbefangen und ohne Rückendeckung des Königs derartige Mordaufträge erteilen, dann wäre dies ein Zeichen, dass er sich bereits als der eigentliche König sah. Irene wusste nicht, wie Philipp dem begegnen sollte.
Das war auch der Grund, weswegen sie bereit war, ihre Magistra sofort zu empfangen, obwohl sie ihr eigentlich grollte, weil Jutta sie nicht um Erlaubnis gefragt hatte, ehe sie gegangen war. Nun, sie hatte Wolfger klargemacht, dass er ihre Leibärztin nicht ohne weiteres ausleihen könne, und das mochte im Moment genügen. Doch die Magistra war klug; was auch immer geschehen war, es war besser, alles darüber zu wissen, ehe ein anderer Irene mit Erklärungen kommen konnte, auf die sie noch nicht vorbereitet war.
Was sie zu hören bekam, half, stimmte sie jedoch
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