Das Spiel der Nachtigall
Bekanntschaft gewesen war. Doch Judith hatte einiges aufs Spiel gesetzt, um das Leben dieses Mannes zu retten; nun sah es so aus, als habe sowohl Hugos als auch Konrads eigener Hochmut zu seinem Tode beigetragen. Unklar blieb, warum es Stefan so wichtig gewesen war, seine Nichte an diesem Tag nach Würzburg zu locken, was ihm immer mehr Angst machte, und wo sie nun steckte. »Das hat er nicht fertiggebracht. Und nun kümmert mich in der Tat nur, wo meine Gemahlin steckt.«
Hugo hatte zu alldem nichts Weiteres zu sagen als »Ihr seid aber doch gar nicht verheiratet«, als ob das jetzt von Bedeutung war! Walther zog Jakob weiter und ließ Hugo einfach stehen.
In der Schenke zum Ochsenschwanz wusste der Wirt nur, dass die Rheinländer gesagt hatten, ihre Geschäfte seien erledigt, und gegangen waren. Eine Frau hatte er nicht gesehen. Bei den Booten am Mainufer konnte man sich auch an die Rheinländer erinnern, weil sie trotz des Winters ein Schiff nach Frankfurt bestellt hatten.
»Ihr habt sie vielleicht um eine Stunde verpasst, Herr. Nein, eine Frau war nicht bei ihnen, aber ein Junge. Und eine Menge Fässer.« Wenn man Judith in Männerkleider gesteckt und ihr das Haar abgeschnitten hatte, würde sie von weitem als Junge durchgehen. Oder es könnte Paul gewesen sein, der kein Riese war. Aber was, wenn diese Fässer nicht nur Wein enthielten?
Nimm dich zusammen, befahl er sich. Hör auf, voreilige Schlussfolgerungen zu ziehen.
»Nichts für ungut, aber mir scheint, Eure Frau oder Geliebte oder was sie auch immer sein mag, die müsste sich auch einfacher finden lassen«, brummte Jakob. »Ihr solltet zur Stadtwache gehen und denen sagen, dass die verdammten Rheinländer schuld am Tod von unserem Bischof sind und Euch die Frau entführt haben. Sonst denken die noch, dass es die Schuld des Schwaben war. Das habe ich nämlich geglaubt, bis ich Euch begegnet bin.«
»Meister Jakob, ich glaube, es ist an der Zeit, Euch wieder Eurer Schmiede und Eurer Familie zurückzugeben.«
»Ich könnte für Euch zur Stadtwache gehen«, schlug Jakob bedeutsam vor und schielte in Richtung auf den Beutel mit den Münzen, der unter Walthers Umhang verborgen blieb. Im Grunde war er Jakob dankbar für den Vorschlag, obwohl er ihn ablehnte. Es war besser, als sich ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, wo er nun Judith finden sollte.
Walther gab Jakob noch eine Münze, musste sich von diesem deswegen voll Dankbarkeit auf die Schultern schlagen lassen, was ihn fast zu Boden zwang, wünschte ihm viel Glück und verabschiedete sich. Dann lief er noch einmal zur Bootsanlegestelle, doch Judith befand sich immer noch nicht dort, noch hatte jemand eine Frau gesehen, auf die ihre Beschreibung passte.
Wenn sie nach Köln gebracht wird, dachte Walther; sein ganzer Körper zitterte aus Angst und Wut. Wenn sie in Köln ist, dann werde ich eben auch dorthin gehen. Gott, ich wünschte, ich hätte Judith in Nürnberg einen ihrer Schlaftränke verabreicht oder ihr ausgeredet, dass es sie irgendetwas angeht, was aus Konrad wird. Aber wenn Judith jemand wäre, der einem vom Tod bedrohten Menschen den Rücken kehren konnte, dann wäre sie nicht die Frau, in die er sich entgegen aller Vernunft verliebt hatte.
Als Knabe war er einmal in einen Ameisenhaufen gefallen. Die Ungewissheit, was aus ihr geworden war, fraß nun genau in der gleichen brennenden Art an ihm. Walther zwang sich, alles noch einmal zu durchdenken. Wenn Judith nicht auf einem Schiff irgendwo auf dem Main war, wo mochte sie dann sein? Es musste ein Ort sein, der ihnen beiden bekannt war. Einer, auf den sonst niemand kommen würde. Er zwang seinen Verstand, logisch zu denken, nicht Angstgefühlen zu folgen – und bekam seine Antwort.
Die ersten Schneeflocken fielen auf die Erde, als er sie sah, eine einsame Gestalt, die sich unter die einzige Linde auf einem winterlich kahlen Weinberg kauerte. Sie hatte ihr Gesicht in den Händen verborgen, so dass sie mit ihrem hellgrauen Kleid aus der Ferne wie eine Statue wirkte, nicht wie die Frau, die er hier in seiner glücklichsten Stunde in den Armen gehalten hatte. Doch dann hob Judith den Kopf, erblickte ihn und rannte schon auf ihn zu. Er schmeckte das Salz ihrer Tränen, als er sie küsste.
»Ich habe keine Familie mehr«, murmelte sie. »Er, der mein Onkel war, ist tot für mich. Er und seine Kinder. Ich habe das Kaddisch für sie gesprochen, und nun wird ihr Name nicht mehr über meine Lippen kommen.«
Er schloss sie in seine Arme,
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