Das Spiel der Nachtigall
um zu wissen, dass er immer auch etwas wollte, wenn er so hilfreich war. »Bischof Wolfger wird die Alpen überqueren, um sein Patriarchat in Aquileja anzutreten«, fügte er harmlos hinzu, so harmlos, dass sie vermutete, Wolfger habe ihn auch darüber unterrichtet, dass er dem Papst den Vorschlag mit dem Kreuzzug und der Eroberung von Byzanz im Auftrag Philipps unterbreiten sollte. »Da wäre es sinnvoll, wenn Botho in seiner Gesellschaft reist. Auch das würde den Menschen im Reich die Gewissheit geben, dass Botho nicht flieht, sondern willens ist, sich tatsächlich dem Urteil zu stellen, denn das Ansehen Bischof Wolfgers ist sehr hoch.« Auch dagegen war nichts einzuwenden, und es klang alles höchst vernünftig; Irene wartete aber immer noch darauf, den Pferdefuß zu entdecken.
»Ihr seid so still, Magistra«, wandte sie sich, um Zeit zu gewinnen, an ihre Leibärztin. »Seid Ihr anderer Meinung als Herr Walther?«
»Nein, Euer Gnaden«, antwortete die Magistra. Sie war immer noch bleich; es lag etwas Wundes in ihren Augen, aber auch Kälte. »In der Tat möchte ich einen weiteren Vorschlag machen. Prinz Alexios braucht ärztliche Hilfe. Lasst mich ihn nach Salerno geleiten. Wenn er nicht auf das Heer wartet, sondern bereits mit Bischof Wolfger über die Alpen reist, dann wird er die Zeit haben, sich nach einem Eingriff zu erholen, bis die Kreuzfahrer in Italien eintreffen. Niemand braucht je davon zu erfahren, dass Euer Bruder überhaupt am Star litt.«
War das der Preis? Sie schaute von der Magistra zu Walther und wieder zurück. »Hattet Ihr nicht ein Gelübde abgelegt, niemandem etwas von Alexios’ Schwierigkeiten zu erzählen?«, fragte Irene scharf und starrte bedeutungsvoll zu Walther.
Die Magistra wich nicht zurück. »Mann und Frau sind ein Fleisch, Euer Gnaden. Ich sprach nur zu mir selbst.«
»Ihr seid nicht mit Herrn Walther verheiratet«, sagte Irene, »aber Ihr habt die Kunst des Wortspiels von ihm gelernt.« Sie versuchte zu verstehen, was sie empfand. Ein Teil von ihr, der ewig sechzehn und alleine gelassen sein würde, wollte der Magistra ins Gesicht schlagen ob des Ansinnens, sie schon wieder zu verlassen, denn darauf lief es hinaus. Alexios mit Wolfger loszuschicken, das war vernünftig, doch er brauchte nicht die Magistra, um nach Salerno zu gelangen. Gewiss, sie konnte verschleiern, wie schlecht er inzwischen sah, wogegen neue Begleiter die Gefahr vergrößerten, dass sich sein Leiden herumsprach. Aber es war eine Aufgabe, die auch ein anderer übernehmen konnte! Doch Irene war keine sechzehn mehr, und etwas, was sie hier im Reich gelernt hatte, war die Kunst, mit Falken zu jagen. Man musste sie fliegen lassen, damit sie zu einem zurückkehrten, denn wenn man sie nur in ihrem Verschlag hielt, dann verloren sie den Willen, zu leben, oder wurden wild und zerfleischten sich selbst.
»Ich nehme an, Ihr wollt ebenfalls mit Bischof Wolfger nach Süden ziehen«, sagte sie zu Walther, und der nickte.
»Kein Vogel, Euer Gnaden, den es nicht hin und wieder in den Süden zieht, um neue Weisen zu lernen.«
Zu ihrer Überraschung trat die Magistra vor, kniete sich vor Irene und erfasste ihre Hände. »Kein Vogel, der nicht in den Norden zurückkehrt«, sagte sie eindringlich. Irene wusste nicht, ob sie ärgerlich oder besänftigt war, weil die Magistra wusste, dass sie vermisst werden würde. Irene hatte so viele Damen und Mägde, die bestrebt waren, ihr zu dienen und ihr auch noch den kleinsten Wunsch von den Augen abzulesen. Es bestand kein Grund, ihr Herz an eine zu hängen, die von niederer Geburt war und nie richtig zu schätzen wusste, was für ein Glück es war, einer Königin zu dienen.
»Was, wenn er im Norden kein Nest mehr findet?«, fragte Irene und versuchte, den Kloß in ihrer Kehle zu ignorieren, der sich dort bei der Aussicht ansammelte, die Magistra könne in Salerno bleiben. Hatte sie nicht selbst zu ihrem Bruder gesagt, dass man Versprechen leicht machen konnte und es eine andere Sache war, sie einzulösen? Doch sie wäre lieber gestorben, als vor der Magistra noch einmal erkennen zu lassen, dass ihr deren Abreise oder Rückkehr irgendetwas bedeuten würde. Nein, sie würde klarmachen, dass es die Magistra war, die darum werben und sich sorgen musste, ob Irene sie je wieder empfing.
»Dann wird er wie Noahs Taube sein«, entgegnete die Magistra, »froh, überhaupt Land zu finden, mit einem Olivenzweig des Friedens im Schnabel.«
Irene wurde sich bewusst, dass die Magistra
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