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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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dass man Frauen nicht die Entscheidung über ihr Schicksal überlassen durfte, denn welches vernünftige Wesen wählte ein Leben als reisende Ärztin vor einem Platz an der Seite eines Königs? Zuerst versuchte Paul noch, sie durch die Liebe zu Gilles zu entschuldigen. Eine treue Ehefrau sein zu wollen, war löblich, selbst wenn das Allgemeinwohl wichtiger war. Doch dann versicherte sein Vater ihm, dass Jutta den Berichten nach nun mit dem Sänger zusammenlebte, der auch in Köln aufgetaucht war und ihr schöne Augen gemacht hatte. Also war Jutta bereit dazu, die Ehe zu brechen, wenn es nur um ihre Gelüste ging, nur nicht zum Wohl ihrer Familie. Er hatte sich geschämt, sie einmal so gerngehabt zu haben.
    Als sein Vater ihn darum bat, nach Nürnberg zu gehen, gab es für Paul deshalb kaum ein Zögern, und wenn, dann galt es dem Erzbischof von Würzburg. Aber letztendlich, dachte er, hat dieser Eidbrecher Jahre damit verbracht, den falschen König zu unterstützen. Paul würde durch seine Tat seinen Vater wieder an die Spitze Kölns zurückbringen, die Selbstsucht seiner Base und seine eigene jugendliche Dummheit wieder wettmachen und dabei helfen, König Otto dem Sieg einen Schritt näher zu bringen. Sogar Jutta würde er helfen, denn wenn sie erst wieder in Köln war, dann würde sie gewiss auch ihren Irrtum erkennen und alles versuchen, ihn zu berichtigen.
    Es schien alles so klar. Und dann kam alles ganz anders, als er erwartet hatte. Zuerst zeigte ihm Jutta durch ihren Einsatz für den Bischof, dass sie doch nicht so selbstsüchtig war, wie er sich eingeredet hatte – und dann begann das Geschrei in Würzburg. So hatten die Frauen in Köln wegen der Toten geschrien; dieser Klang steckte ihm tief in den Knochen. Nur ein Mann, dachte Paul mit wachsender Unsicherheit, nur ein Mann für das Wohl der vielen, und dann brachte ihn Jutta völlig durcheinander, als sie sich von einem Moment auf den anderen in ein Geschöpf aus einem Alptraum verwandelte. Es war, als hielte sie ihm einen Spiegel vor, in dem alles verzerrt war; statt eines Helden sah er einen jämmerlichen Mörder. Sie machte ihm Angst, und er fühlte sich, als wäre der sichere Grund unter seinen Füßen plötzlich Morast geworden. Am Ende war er bestürzt und froh zugleich, als sie davonrannte und auch die Männer seines Vaters sie nicht mehr fassen konnten.
    Auf dem Weg zurück nach Köln wollte er vergessen, was sie zu ihm gesagt hatte, doch es setzte sich wie eine Laus in seinem Ohr fest und nagte an ihm. Was, wenn der König wirklich nicht beabsichtigte, sie zu seiner Geliebten zu machen, sondern in ihr nur den Hund sah, der ihn gebissen hatte und der durch einen Tritt oder gar den Tod bestraft werden musste? Was, wenn der Tod des Erzbischofs Konrad keinen Unterschied im Kriegsverlauf machte? Dann hatte Paul bei einem Mord geholfen. Er wusste nur zu gut, dass die Kirche einen Unterschied machte zwischen Menschen, die in einer Schlacht starben, während eines ehrlichen Kampfes, oder Menschen, die hinterrücks erschlagen wurden. Du sollst nicht töten.
    Der verächtliche Blick in Juttas Augen drang wie Gift unter seine Haut und schwärte dort. Dass man überall über Konrads Tod sprach, half ihm ein wenig, aber niemand erzählte, dass sich jetzt die Bischöfe und Fürsten von Philipp lossagten, und der Zweifel in Paul wuchs, weil er befürchtete, jemand würde irgendwann mit dem Finger auch auf ihn zeigen.
    »Solche Dinge brauchen ihre Zeit«, sagte sein Vater, der es besser aufnahm, als Paul erwartet hatte, dass Jutta nicht bei ihm war. Statt zornig aufzubrausen, seufzte er, lächelte und sagte kopfschüttelnd, Jutta sei eben die Tochter ihrer Mutter und zu klug für die meisten anderen Menschen.
    »Willst du damit sagen, dass sie recht hat?«, fragte Paul erschüttert.
    »Nein«, erwiderte sein Vater ruhig. »Aber sie hat ihren Verstand beieinander. Das ist gut zu wissen, denn wenn etwas sie retten kann, wenn die Staufer untergehen, dann das.«
    »Werden die Staufer …«
    »Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel, mein Sohn. Philipp wird nie Kaiser werden. Wenn er je Aussicht darauf hatte, dann ist sie in Würzburg zerstört worden. Und wenn Otto in Rom vom Papst als Nachfolger Karls des Großen gekrönt wird, dann wird das auch deinem Einsatz und Mut zu verdanken sein.«
    Eine Stimme, die verdächtig der seiner Base ähnelte, fragte Paul, was daran mutig war, eine Verwandte in eine Falle zu locken und zum Tod eines waffenlosen Bischofs

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