Das Spiel der Nachtigall
und um Einlass zu erbitten. Obwohl Wolfger gewiss nicht zum ersten Mal in diesem Kloster abgestiegen war, hatte Hugo das Pech, an einen Mönch zu geraten, dem die Familienumstände des Patriarchen nicht vertraut waren. »Sein Sohn?«, fragte er einigermaßen empört.
Wie sich herausstellte, besuchte Wolfger gerade den Papst, doch man beschied Hugo, er und die Magistra, deren Titel mit der gleichen Anzüglichkeit wie der Sohn ausgesprochen wurde, könnten in der Zelle des Abtes auf ihn warten. Der Mönch, der sie dorthin geleitete, legte nur den Finger auf die Lippen, als Hugo Anstalten machte, ihn nach Walther zu fragen.
»Bei uns«, sagte der Abt, der sie erwartete, »nimmt man seine Gelübde und Vorschriften noch ernst. Einschließlich des Rats des heiligen Benedikt, nicht den lieben langen Tag eitel zu schwätzen.«
»Dann müsst Ihr sehr erleichtert gewesen sein, als Herr Walther von der Vogelweide abgereist ist«, sagte Judith bemüht heiter. Wenn sie erkennen ließ, wie wichtig ihr diese Frage war, dann mochte der Abt imstande sein, ihr eine Antwort aus christlicher Ernsthaftigkeit zu verweigern. »Schließlich redet der Sänger den ganzen Tag lang.«
»Einen Mann dieses Namens«, gab der Abt zurück, »haben wir nie in diesem Kloster beherbergt. Aber ich darf sagen, dass auch sonst keinem Gast gestattet wird, den ganzen Tag zu reden.«
Die Zeit, die sie warteten, bis Wolfger zurückkehrte, wurde sehr, sehr lange. Sie hörte ständig von irgendwo im Kloster einen Hund heulen, ohne dass irgendjemand das Tier fütterte, befreite oder vertrieb, und das Winseln hörte nicht auf. Immerhin erlaubte es der Abt, dass Judith in seinem Exemplar der Psalmen blätterte, nachdem er sich überzeugt hatte, dass ihre Finger sauber waren. Die Bibliothek seines Klosters rühmte sich, auch Schriften des großen Galen zu besitzen, doch kein Werk des Maimonides. Sie fragte nach Aufzeichnungen der Lehren der Prophetin vom Rhein, Hildegard von Bingen, und erfuhr, diese seien zwar vorhanden, doch empfehle der Abt sie nicht: »Ein gelehrtes Weib ist wie ein Hund, der auf zwei Beinen läuft. Er kann es nicht besonders gut, doch man ist erstaunt und bewundert, dass er es überhaupt vermag.« Es verstand sich von selbst, dass ihr der Zutritt zur Bibliothek nicht gestattet war.
»Dass Ihr überhaupt lesen könnt in so einer Lage«, warf Hugo ein. Da es ihr nichts genutzt hätte, ihn anzuschreien, unterließ sie es.
Als Wolfger schließlich auftauchte, starrte er sie an, ehe er seinen Sohn begrüßte. »Bei allen Heiligen«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich Euch für mutig, unverschämt oder bösartig halten soll, dass Ihr hier auftaucht, Magistra.«
»Für vertrauensvoll«, entgegnete sie. »Ich bringe Euch Euren Sohn und hoffe auf Euren Schützling.«
Sie ließ ihn nicht aus den Augen, während sie das sagte. Ihr Gegenüber war ein Meister der Selbstbeherrschung, doch Judith hatte gelernt, jede Muskelregung im menschlichen Körper zu deuten. Was ihr Wolfger von Passau soeben unabsichtlich verriet, ließ sie gleichzeitig erleichtert aufatmen und auch verzweifeln: Er wusste wirklich nicht, wo Walther sich befand.
»Allmächtiger!« Wolfger verstand sofort, was ihre Frage bedeutete, und beschied dem Abt, zu gehen. »Ich hätte durchaus auch den Verdacht gehegt, dass Herr Walther sich nicht freiwillig von meiner Seite entfernt hat, wenn er mir nicht eine Abschiedsbotschaft hinterlassen hätte. Eine Wachstafel, auf der nur stand, dass es ihn nach Salerno triebe. Natürlich kann sie von jedem Beliebigen beschrieben worden sein, aber wer sollte einen Grund haben, so etwas zu tun?«
»Es mangelt Herrn Walther nicht an Feinden, Vater«, sagte Hugo. »Er hat manchmal eine böse Zunge.«
» Manchmal, Hugo? Gott segne dich«, gab Wolfger zurück, dann wurde er wieder ernst und schaute zu Judith.
»Warum«, fragte sie auf Arabisch, von dem sie wusste, dass er es wegen der Verhandlungen mit den Sarazenen während des Kreuzzugs zumindest verstand, »wolltet Ihr Walther an Eurer Seite, wenn nicht, um Eurem Herrn Eure Treue zu beweisen, indem Ihr ihm einen übergebt, der Böses von ihm spricht?«
»Weil niemand es vermag, Worte so zu setzen wie er«, gab Wolfger zurück und bewies, dass er in der Tat flüssig in der Sprache des Propheten Mohammed war. »Seine Lieder sind beliebt. Wenn sie von Frieden und Versöhnung sprächen, wäre dies von großem Vorteil für das Reich und die Menschen. Doch mir war klar, dass er nur glaubwürdig sein
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