Das Spiel der Nachtigall
würde, wenn er Frieden mit unserem Heiligen Vater im Herzen trägt. Ich hoffte, diese Fahrt würde ihn versöhnen.«
»Es wäre einfacher für Euch, ihm ein für alle Mal den Mund zu stopfen«, sagte Judith immer noch voller Zweifel, aber Wolfger schüttelte den Kopf.
»Es würde meiner Seele etwas nehmen, das ihr nie wieder gegeben werden kann. Lasst es ihn nie wissen, Magistra, doch er ist einer der größten Dichter, die je gesungen haben.«
* * *
Odokar, der Schreiber des Bischofs von Passau, war ein ehrbarer Ministerialer, dessen niederer Adel ihn nie in die höheren Ränge der Geistlichkeit aufsteigen lassen würde. Dass sein Herr Patriarch von Aquileja wurde, sollte ihm genügen, und den größten Teil der Zeit tat es das auch, aber gewisse Dinge empfand er als kränkend, was ihn gelegentlich für den Bischof von Köln die Ohren und Augen offen halten ließ.
Er hatte bemerkt, dass Walther sich gelegentlich in seinen Unterlagen umsah, und zahlte ihm diese Unverschämtheit mit gleicher Münze heim. Als er in Walthers Satteltaschen ein Pergament fand, das die Schrift seines Herrn trug, hatte er zunächst geglaubt, den Sänger beim Diebstahl ertappt zu haben. Aber die Schriftrolle war kein Brief, keine Urkunde, noch nicht einmal eine theologische Streitschrift, sondern Teil jenes Heldenliedes, das in Abständen von einigen Monaten immer wieder in der Kanzlei des Bischofs auftauchte und von diesem wie ein Original des Alten Testaments behandelt wurde. Er hatte den Bischof mit Walther darüber disputieren gehört und konnte deswegen nicht davon ausgehen, dass es widerrechtlich in Walthers Besitz war. Was ihn dabei aufbrachte, war, dass der Bischof mit diesem Sänger Geheimnisse zu teilen schien, die einem Unwürdigen einfach nicht zustanden.
Er hasste Walther dafür, dass er die Gunst Wolfgers für selbstverständlich nahm und offensichtlich glaubte, Odokar sei blind, dumm und taub und nur dazu da, ihm Auskünfte zu erteilen. Dann gab es da auch noch das Weib, das sich als Ärztin bezeichnete, statt zuzugeben, dass sie nur eine bessere Kräuterhexe mit losen Sitten war. Es wunderte ihn nicht im Geringsten, als ihm zu Ohren kam, es handele sich um eine ehemalige Jüdin, und er verbrachte einen Teil der Reise in den Süden damit, in den Orten, wo sie über Nacht geblieben waren, nach vermissten Kindern zu fragen. Leider gab es nirgendwo einen Hinweis darauf, dass die sogenannte Magistra nächtens jüdische Rituale ausübte. Immerhin geschah es Walther recht, dass sie mit dem Byzantiner verschwand, wenngleich der Sänger seine Sittenlosigkeit dadurch bewies, nicht die geringste Eifersucht zu zeigen. Was für ein echter Mann ließ es schon zu, dass seine Geliebte einem Fürsten das Bett wärmte? Nur ein speichelleckender Taugenichts!
Aus Köln hatte man ihn gebeten, sich gut mit Botho von Ravensburg zu stellen. Was Odokar von ihm über das Paar erfahren hatte, bestärkte ihn in seinem Entschluss, seinen Herrn vor diesem Gesindel zu schützen. Das Beste war, dass niemand ihn verdächtigen würde. Jeder wusste von Bothos Mord an Bischof Konrad. Jedermann traute dem Ravensburger das Schlimmste zu. Als Walther sich eines Nachts davonmachen wollte, wusste Odokar, dass seine Stunde gekommen war. Und dann tat ihm Walther auch noch den Gefallen, eine Abschiedsbotschaft zu schreiben, so dass niemand auf die Idee kommen würde, ihm könne etwas zugestoßen sein. Besser hätte es gar nicht kommen können!
Alles in allem hatte er danach ohne Walther wieder ein besseres Leben, fand Odokar, vor allem, als er Bischof Wolfgers wutschnaubende Botschaft an seinen Sohn niederschrieb und nach Salerno schickte. Mit etwas Glück würde Wolfger als Nächstes die verdammte Jüdin ins Auge fassen.
Sechs Wochen nach Walthers Verschwinden schickte der Bischof Odokar nach einer Audienz beim Papst in das Skriptorium des Klosters, um die Bedingungen, die ausgehandelt worden waren, ins Reine zu übertragen. Wolfger ließ ihm zum Ende seiner zeitaufwendigen Arbeit sogar noch einen Becher Wein zukommen, was bisher noch nie geschehen war; Odokar gratulierte sich dazu, nun wieder gewürdigt zu sein. Doch das Hochgefühl verflog, als er in seine ihm nun allein zur Verfügung stehende Zelle zurückkehrte und dort ein weibliches Wesen vorfand.
»Was tut Ihr hier in Rom?«, fragte Odokar ungnädig. Was er wirklich wissen wollte, war, warum der Abt sie in seine Zelle gelassen hatte, noch dazu mit dem alten, kranken Hund, der sich in den Ställen
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