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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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sie um bestimmte Pflanzen bat. »Buchsbaum, Eisenhut, Christrose, Eibe«, wiederholte ihre Lehrmeisterin langsam. »Judith, es ist dir doch klar, dass du für alle Zeit verdammt bist, sowohl im Leben als auch im Jenseits, wenn du jemandem eine zu große Dosis davon verabreichst.«
    »Ja«, entgegnete Judith. »Das ist es.«
    Francesca blickte sie forschend an. »Was ist mit meinem eigenen Eid?«
    Judith wandte ihren Blick nicht ab. »Wenn du mich für fähig hältst, einen Menschen zu vergiften, dann solltest du mir diese Pflanzen nicht geben.«
    »Manche Patienten müssen durch Angst zu ihrem Heil gezwungen werden«, sagte Francesca nach einer Weile. »Ich habe keinen Eisenhut, aber Fingerhut zur Verfügung.«

    Mit Hugo, aber ohne weitere Begleiter zu reisen, hatte einen für Judith unerwarteten Nachteil: Er bestand darauf, die Gelegenheit zu nutzen, um ihr ins Gewissen zu reden.
    »Als Frau seid Ihr natürlich von Natur aus schwach und den Anfechtungen der Sinne ausgesetzt. Außerdem, Gott sei’s geklagt, muss man wohl eine Heilige sein, um einen Prinzen zurückzuweisen. Doch wenn wir Walther lebend wiedersehen, dann muss dieses Lotterleben ein Ende haben. Ich weiß, dass er Euch ehelichen und zu einer ehrbaren Frau machen will. Werdet Ihr Euch dessen zukünftig würdig zeigen?«
    Als Ablenkung vom Schmieden aller möglichen Pläne, je nachdem, was sie in Rom vorfinden würde, waren derartige Reden alles andere als willkommen, doch sie konnte es sich nicht leisten, Hugo jetzt zu verprellen.
    »Herr Hugo, leider bin ich bereits verheiratet. Solange ich nicht weiß, ob mein Gemahl noch lebt, kann ich noch nicht einmal Euren edlen Vater bitten, meine Ehe zu annullieren oder mich zur Witwe zu erklären. Doch ich will mich nach Kräften bemühen, Gilles zu finden, damit meine Verbindung zu Walther den Segen der Kirche erhalten kann.«
    »Eigentlich hättet Ihr als verheiratete Frau Euer Herz keinem anderen schenken dürfen, weder Walther noch dem edlen Alexios«, sagte Hugo streng. »Ihr schuldet es nicht nur Walther, sondern der Ehre des weiblichen Geschlechtes, ein besseres Leben zu führen, Frau Jutta!«
    »Gott helfe mir«, murmelte sie.
    »Das wird er, Magistra, das wird er. Wenn Ihr nur fleißig betet und von nun an keusch bleibt.«
    Andererseits erwies sich Hugo als durchaus fähig, überlegt zu handeln: Er erkundigte sich in allen Hospitälern und Wirtshäusern auf der Strecke von Salerno nach Rom danach, ob in den letzten Wochen ein einzelner Reisender aufgetaucht oder gar überfallen und erschlagen aufgefunden worden sei. Niemand hatte Gerüchte über so einen Vorfall gehört, noch erkannte jemand Walther nach seiner Beschreibung.
    Je näher sie Rom kamen, desto mehr zwang sich Judith, innerlich zu Stein zu werden. Wenn das Schlimmste zutraf, konnte sie sich immer noch der Trauer ergeben – aber bis dahin würde sie davon ausgehen, dass es noch einen Walther gab, den sie retten konnte. Doch das würde sie nur mit ihrem Verstand und ihrer Tatkraft schaffen, nicht mit einem Tränenstrom. Trotzdem konnte sie häufig nicht ganz die Beklemmung abschütteln, die sich wie Mehltau auf sie legte. Rom war die Stadt der Päpste, die Stadt, von der aus zu den Kreuzzügen aufgerufen wurde. Und jedes Mal, wenn Christen und Moslems um das alte Land Israel kämpften, starben Juden, die das Unglück hatten, die Aufmerksamkeit von blutdurstigen Kreuzfahrern auf sich zu ziehen.
    Soweit es Hugo betraf, war sie eine bekehrte Christin. Sein Vater mochte sie verdächtigen, in ihrem Herzen weiter Jüdin zu sein, doch er konnte ihr nichts beweisen und hatte im Moment bestimmt andere Sorgen, ganz gleich, ob er nun seine Hände bei Walthers Verschwinden im Spiel hatte oder nicht. Das sagte sie sich, bis sie vor dem Benediktinerkloster stand, in dem der Bischof von Passau und Patriarch von Aquileja untergebracht war. Dann erinnerte sie sich an das, was Wolfger zu Alexios, der ungleich höher geboren war als Judith und viel nützlicher für ihn, über die Aufrichtigkeit von Bekehrungen gesagt hatte, und zwang sich, ein Kreuz zu schlagen. Wenn Gott sie bereits als Abtrünnige verdammt hatte, hatte sie ohnehin nichts mehr zu verlieren; wenn er in ihr Herz sah und Rabbi ben Maimon recht hatte, würde er ihr verzeihen.
    »Ihr habt zu viel Zeit mit der Königin und ihrem Bruder verbracht. Bei uns macht man das Kreuzzeichen in die andere Richtung«, sagte Hugo und trat zur Klosterpforte, um sich als Sohn des Patriarchen zu erkennen zu geben

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