Das Spiel der Nachtigall
einem Knüppel und dem Messer umgehen, weswegen Walther ihn auch eingestellt hatte.
Walther machte nie den Fehler, sich mit dem Jungen über dessen eigenes Leben zu unterhalten oder zu versuchen, sich mit ihm anzufreunden. Freunde brauchte er von nun an genauso wenig, wie er Judith brauchte. Nie jemanden näher an sich heranzulassen als bis zu seinem Geldbeutel, das war die Art, wie er nun leben würde. Das Gleiche galt für Gönner. Jahrelang hatte er sich für Philipp von Schwaben eingesetzt, und das war dem Staufer gewiss so wenig wert gewesen wie Judith ihr Leben mit ihm. Wenn er Speyer nicht von sich aus verlassen hätte, dann wäre er verbannt worden, daran gab es keinen Zweifel. Nun, er würde den Teufel tun und jetzt noch königstreue Lieder singen. Was er über Judith zu sagen hatte, wäre den Menschen gleichgültig gewesen, aber sich über Philipp lustig zu machen, brachte Zuhörer – und neue Gönner.
Nicht nur war Landgraf Hermann anwesend, er zeigte sich auch gesonnen, Walther zu empfangen, als er bei seinem Haushofmeister vorsprach. Man brachte ihn sofort in den Palas.
»Das nenne ich eine Überraschung«, sagte Hermann und zeigte lachend und voller Stolz alle seine Zähne. Dass er sie noch besaß, war selten bei Männern von fünfzig, und so alt musste der Landgraf von Thüringen mindestens sein. Doch er hatte stets nicht nur reich, sondern auch gut gelebt und das Kunststück fertiggebracht, sehr vielen Menschen Schaden zuzufügen, ohne ihn selbst zu nehmen. Da war es nicht weiter verwunderlich, dass er immer noch kräftig zubeißen konnte.
»Euer Gnaden.«
»Herr Walther von der Vogelweide hat uns in der Vergangenheit gelegentlich die Ehre gegeben und sogar an unserem Sängerwettstreit teilgenommen«, bemerkte Hermann an den Mann gewandt, der neben ihm saß und in den reichbestickten dunklen Roben eines Geistlichen von Stand und Pfründen gekleidet war. »Sein letzter Besuch ist allerdings schon ein Weilchen her. Umso besser, dass er jetzt hier ist. Schließlich haben wir Hochzeiten zu planen! Was braucht man da mehr als gute Sänger?«
Der Geistliche räusperte sich. »Eine Einigung über die Mitgift«, sagte er bedeutungsvoll. Hermann lachte.
»Herr Walther, dies ist Graf Berthold von Andechs. Ich habe für meinen kleinen Ludwig um seine Nichte angehalten, die Tochter des Königs von Ungarn, und was soll ich Euch sagen, ich glaube, mir wird bald eine neue Schwiegertochter zuteil.«
Eine, die noch ein Säugling ist, wie Walther sich dunkel erinnerte. Ehen zwischen Fürstenkindern wurden oft früh geschlossen, aber Hermann schien es besonders eilig zu haben. Vielleicht hatte das auch mit seinem höchst erwachsenen Schwiegersohn zu tun, denn Walther konnte sich nicht vorstellen, dass Dietrich von Meißen glücklich darüber war, nunmehr als Erbe von Thüringen durch Hermanns männliche Nachkömmlinge aus dem Feld geschlagen worden zu sein. Einen Moment lang fragte er sich, ob Dietrich den Grimm darüber an seiner Gemahlin ausließ, dann verdrängte er den Gedanken. Sich um niemanden zu kümmern, das war sein neuer Wappenspruch. Schon gar nicht um Frauen namens Jutta.
»Soll ich dann Kinderlieder bei der Hochzeit singen, Euer Gnaden?«, fragte er höflich.
»Wenn Ihr es nicht lassen könnt. Aber Ihr wisst ja, Hochzeiten sind vor allem der Gäste wegen ein Vergnügen, und das gilt nicht nur für die Feier zwischen meinem Herzbuben und Elisabeth von Ungarn. Das Haus Andechs-Meranien wird nächstes Jahr gar nicht mehr aus den Hochzeitsfeiern herauskommen, nicht wahr, Herr Berthold?«, fügte Hermann mit einem Rippenstoß hinzu.
Der Geistliche nickte mit einem etwas gequält wirkenden Lächeln. »Wir sind eben eine große Familie.«
So konnte man es auch ausdrücken. Ein Brief fiel Walther wieder ein, aus der Schreibtruhe von Bischof Wolfger. Eckbert, einer von Herrn Bertholds Brüdern, war nun der Bischof von Bamberg, seine Schwester Gertrud die Königin von Ungarn, und dann gab es noch eine Schwester, die den König von Frankreich geheiratet hatte. Man konnte sich fragen, wer in der Familie noch zum Heiraten zur Verfügung stand. Da er auf der Suche nach neuen Gönnern war, gab Walther sich einen Ruck und fragte, wen man denn noch beglückwünschen dürfe.
»Ja, wisst Ihr das denn nicht?«, fragte Hermann mit einer Überraschung, die zu dick aufgetragen war, um nicht gespielt zu sein. »Und ich dachte, Ihr kommt geradewegs vom Hof des guten Philipp zu uns. Herrn Bertholds ältester Bruder
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