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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Herz viel mehr, der Liebe steht die Schönheit nach. Doch Liebe macht die Frauen schön, aber Schönheit kann niemals die Lieb erhöhn.«
    Die Magistra sagte nichts.
    »Das hat Herr Walther von der Vogelweide verfasst.« Noch immer sagte die Magistra nichts, also entschloss sich Beatrix, tollkühn zu sein. »Vor ein paar Jahren. Da muss er entweder eine schöne Frau geliebt haben, die ihn nicht zurückliebte, oder eine nicht so schöne Frau, die seine Liebe erwiderte. Was meint Ihr denn, dass es war?«
    Jetzt kam Farbe in die Wangen der Magistra, und Beatrix gratulierte sich. Sie hatte gewusst, dass keine Frau so eine Unterstellung unwidersprochen lassen konnte; deswegen hatte sie zwei Interpretationen gewählt, die alle beide falsch waren. Die Magistra musste sich verteidigen und würde erzählen, was zwischen ihr und Walther geschehen war!
    »Herr Walther«, sagte die Magistra und klang fast schneidend, »hat immer und einzig nur sich selbst geliebt. Was er in Frauen sah – ob schön, hässlich oder keines von beiden –, war daher nur das, was er sehen wollte. Etwas anderes hat ihn nie gekümmert.«
    Das trieb Beatrix die Tränen in die Augen, denn wenn es stimmte, dann war ihr Held kein Held, und wenn es eine grausame Lüge war, dann war die Magistra nie Herrn Walthers Liebe wert gewesen. »So etwas dürft Ihr nicht sagen«, flüsterte sie mit zitternden Lippen. »Warum tut Ihr das? Ich verbiete es!«
    Die Magistra seufzte, setzte sich neben Beatrix und antwortete leise: »Wenn man in einer offenen Wunde herumstochert, dann schlägt der Patient nach einem. Deswegen sollte man das lassen, vor allem, wenn man nicht weiß, wie die Wunde zu heilen ist.«
    Das tröstete Beatrix ein wenig, denn immerhin bewies es, dass die Magistra um Walther litt. Sie beschloss, großmütig das Thema zu wechseln: »Warum verbringt Ihr so viel Zeit im Freien? Es ist mittlerweile oft kühl da draußen. Wenn es nur um die Kräuter und Wurzeln geht, die könntet Ihr doch auch von Knechten oder Mägden einsammeln lassen.«
    Die Magistra betrachtete sie prüfend, wie um festzustellen, ob Beatrix alt genug für die Wahrheit war. »Mein Gemahl verbringt gerne Zeit im Freien. Er wurde jahrelang in engen Verschlägen und Kisten eingesperrt und nur hervorgeholt, um Menschen vorgeführt zu werden. Aufgrund seiner Verfassung kann ich ihn aber nicht alleine lassen.«
    Beatrix vermied es, dem Gemahl der Magistra zu begegnen. Sie fand keine Freude daran, Krüppel zu betrachten. Ihre Mutter hatte sie gelehrt, Bettlern gegenüber milde zu sein, und vor den Kirchgängen gab Beatrix gewissenhaft von dem Geld, was ihr für Wohltätigkeit gegeben wurde, an die Armen, die sich vor den Portalen jedes Doms und Münsters versammelten, wenn ihre Familie kam. Aber es schauderte sie beim Anblick dieser Leute, und sie wunderte sich, dass es der Magistra nicht so ging, bis sie sich erinnerte, dass sie als Ärztin wohl an so etwas gewöhnt war.
    Was die Magistra nun über ihren Gatten erzählte, stimmte Beatrix traurig, nicht zuletzt, weil es ihn mit einem Mal zu einem wirklichen Menschen machte, der Wünsche hegte. Wahrscheinlich war sie dem Gemahl der Magistra als kleines Kind begegnet, ehe er seine Beine verlor und wunderlich wurde, aber sie konnte sich nicht daran erinnern. Beatrix stellte sich vor, dergleichen würde ihrem Vater geschehen – gewiss würde die Mutter ihn dann auch nicht im Stich lassen, sondern mit ihm in der Sonne sitzen, solange es möglich war.
    Bisher hatte sie die Magistra für töricht gehalten, falls sie Herrn Walther tatsächlich ihres Gatten wegen fortgeschickt hatte, wie Kunigunde vermutete. Doch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, machte es aus der Magistra die Heldin eines Liedes, die treue Dame, die ihrem Ritter auch beistand, wenn er entstellt war. Oder die Bauerstochter im Lied vom armen Heinrich, die ihren Ritter nach Salerno brachte, damit er dort geheilt würde.
    »Wisst Ihr, wen ich heiraten soll?«, fragte Beatrix plötzlich.
    »Wenn deine Mutter es mir erzählt hätte, dann wäre das vertraulich geschehen, und ich dürfte es dir nicht weitergeben. Genau, wie ich ihr nicht erzählen werde, was du mir anvertraust.«
    »Dann steht bereits ein Mann fest?«, platzte Beatrix heraus. »Nicht der Wittelsbacher! Bitte sagt, dass es nicht der Wittelsbacher ist. Den habe ich letztes Jahr auf einem Hoffest gesehen. Er kann nicht tanzen und hat eine wiehernde Stimme.«
    »Was habe ich gerade über Vertraulichkeit

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