Das Spiel der Nachtigall
verbracht und auf seine Zuhörer verzichtet. Nicht einmal hatte er ihr das alles vorgehalten. Sie waren zusammen durch Feuer und Wasser gegangen, und nun warf sie das weg? Konnte sie alles wegwerfen, alle Liebe, alle Schwüre, jedes Zusammengehörigkeitsgefühl? All ihre gemeinsamen Jahre?
Walther hatte sie geliebt, und Judith ihn glauben lassen, sie liebe ihn auch. Das war es doch, worauf es im Leben ankam; alles andere war nebensächlich. Doch wenn sie ihn geliebt hatte, wahrhaft geliebt, dann würde sie nie so handeln, wie sie es jetzt tat. Also war alles für sie immer schon Lüge gewesen.
»Ich wünschte bei Gott, ich wäre dir nie begegnet«, spie er aus, nahm die Satteltaschen und verließ das Zimmer. Er konnte die entschlossenen, raschen Schritte gerade lange genug aufrecht halten, bis sie ihn die nächste Treppe hinuntertrugen; dann brach seine Haltung zusammen, und seine Lunge fühlte sich an, als söge er mit jedem Atemzug glühende Kohlen ein.
Reinmar hatte ihm einmal erzählt, dass bei den Römern ein Sklave die Aufgabe hatte, den Helden eines Triumphzugs ins Ohr zu flüstern: Stirb jetzt. Stirb, solange du noch glücklich bist. Stirb jetzt. Oder war es Gedenke, dass du sterblich bist? Er wusste es nicht mehr. Nach der letzten Stunde war es auch zu spät dafür. Aber der Gedanke half ihm, sich wieder aufzurichten. Nein, er würde nicht sterben. Er würde Judith nicht diese Befriedigung verschaffen. O nein. Er würde Philipps Hof verlassen, er würde sein Leben ohne sie führen, doch besser, als es je mit ihr gewesen war. Sie würde ihn nie wiedersehen, ganz wie gewünscht, aber er würde dafür sorgen, dass sie immer von ihm hören würde.
* * *
Markwart wusste nicht, wo ihm der Kopf stand. Vor einem Tag hatte Walther noch versucht, ihn zu überreden, für ihn das Stück Land zu verwalten, das er und Judith vom Königspaar erbitten wollten, doch am nächsten tauchte sein alter Freund völlig betrunken in der Gesindestube auf und redete unverständliches Zeug, ehe er Markwart den Ring abforderte, den er heimlich für Judith hatte schmieden lassen und den Markwart für ihn aufbewahrte. Dann spielte er vollends den Verrückten und hieb mit dem Feuerhaken auf das Schmuckstück ein, bevor er es schließlich in die große Feuerstelle der Küche warf. Markwart wollte ihm nachgehen, aber unglücklicherweise kam einer seiner Kameraden dazwischen, der sagte, König Philipp brauche ein paar Pferde für einen Ausflug. Markwart sagte sich, dass er mit Walther am nächsten Morgen sprechen würde, doch da war sein alter Freund bereits verschwunden und hatte Speyer verlassen.
Auf dem Weg zur Magistra wurde er von Lucia abgefangen, die immerhin erzählen konnte, dass kein anderer als der lang verschollene Gilles wieder aufgetaucht war, als beinloser Krüppel. »Dann wird aus der Eheannullierung wohl nichts werden«, sagte Markwart und dachte, nun verstünde er Walthers Verhalten, wenngleich er es für übertrieben hielt. Ja, von einem gesunden Gilles hätte die Magistra eine Trennung erbitten können, aber Markwart kannte sie nun schon etliche Jahre, und er vermochte nicht, sich vorzustellen, dass sie einen Krüppel im Stich und dem Armenhaus überließ. Andererseits war es nicht so, dass Gilles jemals Ansprüche auf sie erhoben hatte, also brauchte sich Walther eigentlich keine Sorgen zu machen.
»Da täuschst du dich aber gewaltig«, erwiderte Lucia, als Markwart etwas in der Art zu ihr sagte. »Sie will ihn nie wiedersehen, deinen Freund Walther, und hat dafür gesorgt, dass er auch bei Hofe nicht mehr empfangen wird.«
»Was? Aber …«
»Er hat sie belogen und behauptet, Meister Gilles habe sie in Bamberg verlassen«, erläuterte Lucia. »Dabei lag der Arme zu Brei geschlagen auf der Landstraße und hat keinen Arzt gehabt, um seine Beine zu retten, weil keiner nach ihm gesucht hat. All die Jahre war er in der Gewalt von Gauklern, die ihn zur Belustigung der Leute vorgeführt haben, und das alles nur deines Freundes wegen. Wenn du mich fragst, hätte sie die Königin bitten sollen, ihn in den Kerker stecken zu lassen!«
Markwart öffnete und schloss den Mund, ohne etwas zu erwidern. Dunkel erinnerte er sich, dass er Walther gegenüber die Vermutung geäußert hatte, Gilles habe die Gelegenheit damals benutzt, sich aus dem Staub zu machen.
»Ich dachte, du hättest auch Herrn Walther gerne. Warum nennst du ihn jetzt nur meinen Freund?«, stieß er hervor.
»Ich habe selbst einmal auf der Straße gelegen
Weitere Kostenlose Bücher