Das Spiel der Nachtigall
Racheakt von seiner Seite empfinden würde, und das Bedürfnis, sie zu verletzen, war spätestens in Bamberg erloschen. Andererseits wusste er, dass es keine Möglichkeit gab, Jutta abzuweisen, ohne ihr noch mehr weh zu tun. Nicht nach dem, was sie ihm auf der Wartburg gestanden hatte. Aber nicht hier in Würzburg. Bitte nicht! Manchmal verstand Walther, warum Wolfger nach einem langen Eheleben das Zölibat gewählt hatte. Schließlich sagte er sich, dass es unwahrscheinlich war, dass Judith von seinen Stunden im Bett der Markgräfin erfuhr, während es gewiss war, dass Jutta ihm eine weitere Zurückweisung nicht verzeihen würde, und beschloss, die Angelegenheit so vorsichtig wie möglich anzugehen.
Mit Rücksicht auf das zarte Alter der Braut fand das Festmahl tagsüber statt, und Walther sparte sich die deftigeren Lieder, die sonst angebracht gewesen wären. Da Otto der Schützling des Papstes war und die Kaiserkrone von ihm erwartete, fielen auch seine spöttischen Lieder über Rom weg; das führte dazu, ihn mit allgemeinen Frühlingsliedern, Tageliedern und einem Loblied zu unterhalten. Walther beschloss, die Gelegenheit zu nutzen, um auch gleich Leopold von Österreich daran zu erinnern, was ihm entging, und verkündete, das nächste Lied sei das eines ehemaligen Gastes am Wiener Hof, der das Glück gehabt habe, lange Zeit dort weilen zu dürfen.
Als Friederich von Österreich solch Heil erwarb
Dass an der Seele er genas, doch sein Leib erstarb,
Da senkt’ er meine Kranichtritte nieder.
Da ging ich schleichend, wie ein Pfau, wohin ich ging,
Das Haupt mir nieder fast bis auf die Knie hing.
Nun aber will ich’s fröhlich heben wieder:
Ich bin zu warmen Herd gekommen,
Das Reich, die Krone hat sich meiner angenommen.
Wohlauf! Wer tanzen will nach meiner Geigen!
Da meine Not mich nun verlassen,
So wird mein Fuß jetzt wieder festen Boden fassen,
Und ich kann auf zu hohem Mute steigen.
Die Gäste lachten und klatschten Beifall, einschließlich Otto, der schließlich die Hand hob, so dass Schweigen einkehrte.
»Wohl gesprochen, Herr Walther. Doch wenn Ihr weitersingen wollt an unserem warmen Herd, dann wünsche ich mir doch eines Eurer Liebeslieder. Meint Ihr nicht, das entspräche dem Anlass?«
Da Walther bereits ein paar seiner Tagelieder vorgetragen hatte, verstand er zunächst nicht. »Haben Euer Gnaden ein bestimmtes Lied im Sinn?« Wenn der König mehrere von ihm kannte, dann war das immerhin ein gutes Zeichen, was Walthers zukünftiges Einkommen betraf.
»Eines Eurer Mädchenlieder«, gab Otto mit einem Lächeln zurück. Seine Augen glitzerten. »Mir scheint, wir haben genügend von der hohen Minne gehört. Seid Ihr nicht für die handfestere Liebe berühmt?«
Diese Lieder waren größtenteils in seiner Zeit mit Judith entstanden, und er schaute unwillkürlich zu ihr. Sie stand mit ein paar anderen Frauen hinter Beatrix, kerzengerade, das Gesicht starr. Er kannte diesen Blick: Entweder wollte sie jemanden umbringen oder im Boden versinken. Auf gar keinen Fall war es ein gutes Zeichen.
Im Saal erhob sich erwartungsvolles Kichern. Walther hatte schon eine ganze Weile keines dieser Lieder mehr vorgetragen. Er wusste nicht, ob er es fertigbrachte, hier in Würzburg, wo er mit Judith so überwältigend glücklich gewesen war.
»Herr Walther«, sagte Beatrix überraschend, und ihre hohe, klare Kinderstimme übertönte das Kichern, »als die Braut, Eure Königin und die Herrin dieses Festes, scheint mir, ist es an mir, sich Lieder von Euch zu wünschen. Und ich möchte das vom Preis der Liebenswürdigkeit und der Tugend hören.«
»So sei es, Euer Gnaden«, sagte Walther erleichtert und machte eine Verbeugung in ihre Richtung, während sein Knappe mit der entsprechenden Weise auf der Laute begann. Er sah, wie sich Judiths Haltung entspannte, während Beatrix sich kurz zu ihr umdrehte und ihr ein spitzbübisches Lächeln schenkte, ehe sie sich wieder Walther zuwandte, die Hände sittsam gefaltet und aufmerksam lauschend, während er eines seiner älteren Lieder anstimmte. Eine Woge von Zuneigung für die kleine Königin überrollte ihn. Sie musste gewusst haben, dass diese Lieder für Judith und ihn mit zu viel Vergangenheit beschwert waren, und hatte ihnen das erspart. Da sie in der Tat die Herrin des Festes war, gab es nichts, was Otto dagegen tun konnte. Walther sang das alte Lied mit mehr Gefühl, als er je dafür aufgebracht hatte, und als er mit »Wer guten Weibes Minne hat, der schämt sich jeder
Weitere Kostenlose Bücher