Das Spiel der Nachtigall
vergangene Nacht erinnerte.
Jutta half ihr auch in die Wanne hinein. Judith begann, sich mit dem feuchten Tuch, das über dem Rand hing, abzureiben, immer schneller, bis ihm klarwurde, dass sie sich so wund scheuern würde, und er sagte hastig: »Lass mich.«
Ohne sich darum zu kümmern, dass er selbst noch sein Festtagsgewand trug, kniete er neben dem Bottich nieder, nahm ihr das Tuch aus der Hand und begann sehr vorsichtig, ihr damit über die Arme zu streichen, über Schultern, Nacken, Brüste und schließlich das Gesicht. Erst, als er ihren Mund erreichte, begann sie am ganzen Körper zu zittern, aber sie weinte nicht und gab auch sonst keinen Laut von sich.
»Am Morgen nach meiner Hochzeit«, sagte Jutta von Meißen, »verbrachte ich eine Stunde lang in einem Badezuber. Ich ließ mir immer wieder heißes Wasser bringen und nachschütten, bis ich das Gefühl hatte, alles, was von meinem Gemahl war, wäre endlich weggespült. Aber am nächsten Abend kam er wieder. Wird das für Euch das letzte Mal gewesen sein, Magistra, oder wird er wiederkommen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Judith tonlos. »Ich weiß nur, dass es nicht Beatrix sein darf, bis er nach Rom verschwindet.«
»Und was, wenn er wieder zurückgekehrt ist?«, beharrte Jutta. Walther lag auf der Zunge, zu protestieren, dass dies nicht der Moment war, um Judith mit der Zukunft zu ängstigen. Doch er wusste, dass es keine unberechtigte Frage war. Wien, dachte er, ich nehme sie mit mir nach Wien und schmeichele Leopold so lange, bis er mir eine feste Stelle bei Hofe gibt. Oder Aquileja. Wolfger heißt mich immer willkommen, und sie auch. Alles, nur so weit wie möglich von Otto entfernt und an Orten, an die er nie kommen wird.
»Dann«, sagte Judith, »wird er andere Sorgen haben … wie den Verlust seines Reiches.«
In seltener Einmütigkeit hörte sich Walther gleichzeitig mit der Markgräfin von Meißen völlig überrumpelt »Was?« fragen.
Judith, die bisher in dem Bottich gekauert hatte, setzte sich gerade auf und hielt Walthers Hand fest. In ihre Augen kam wieder Leben. »Man weiß als König nie, wann die Kirche einem nicht mehr ganz so wohlwill«, erklärte sie. »Das hat er letzte Nacht gesagt. Aber welchen Grund hätte er jetzt schon, die Feindschaft der Kirche zu fürchten? Der Papst hat ihn all die Jahre unterstützt. Es gibt nur einen Grund, warum sich das ändern könnte.«
Jutta von Meißen sog hörbar die Luft ein. »Ihr meint …«
»Er will nicht nur über die Alpen ziehen, um sich zum Kaiser krönen zu lassen. Jetzt ist er mit Beatrix vermählt, also wird er all die alten Eroberungen der Staufer beanspruchen – einschließlich des Königreichs Sizilien.«
»Er hat dem Papst zugesichert, auf die Rechte an allen Gebieten unterhalb des Patrimoniums Petri zu verzichten, wenn er erst auf dem Thron sitzt«, sagte Walther zweifelnd. »Ich kann mich noch erinnern, wie Bischof Wolfger seinerzeit davon sprach. Das war der Grund, warum Otto überhaupt die Unterstützung des Heiligen Vaters gewonnen hat.«
»Auf etwas, das einem nicht gehört, kann man leicht verzichten«, sagte Judith, und ihre Stimme gewann von Wort zu Wort mehr Leidenschaft. »Aber wen gibt es jetzt noch, der ihn aufhalten könnte? Diepold von Schweinspeunt wird schnell bereit sein, sich auf seine Seite zu schlagen. Und nach all den Jahren des Krieges und den nun entfallenden englischen Anleihen braucht er Geld. Er wird einfach in die Fußstapfen Kaiser Heinrichs treten und es sich in Sizilien holen.«
»Bei Gott, das klingt vernünftig.« Jutta war zu sehr die Tochter ihres Vaters, als dass ihr nicht die Möglichkeiten einfielen, die es auch für andere deutsche Fürsten geben würde. »Doch wenn er das tut …«
»Dann wird der Papst ihn bannen«, vollendete Walther. »Ich kenne diesen Papst. Er ist nicht bereit, zu teilen. Seit zehn Jahren gefiel er sich in der Rolle des Schiedsrichters, der hofiert wird, und er hat es genossen, auf diese Weise kaum noch deutsche Truppen in Italien zu wissen. Wenn Otto sich das Königreich Sizilien zu eigen macht, dann ist das genau das, was der Papst vermeiden wollte, als er Philipp bannte.«
Der Griff von Judiths Hand verstärkte sich. »Ich hoffe«, sagte sie, und wieder klang sie, als zitiere sie etwas, »dass er so qualvoll wie möglich zur Hölle fährt, und dass das Letzte, was er sieht, kein Priester ist, sondern eine Frau, die ihn verflucht.«
»Das hoffen wir alle am Morgen danach, meine Liebe«, sagte Jutta
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