Das Spiel der Nachtigall
Missetat« schloss, um den Beifall seiner Zuhörer entgegenzunehmen, war auch der des Königs darunter.
Aber Ottos Blick war kalt, sehr kalt, und leer.
* * *
Beatrix schlief trotz der Aufregungen des Tages rasch ein, als sie erst einmal in der großen Schlafstätte lag. Judith beneidete sie ein wenig. Sie würde im Vorzimmer das Bett mit zwei Edelfräulein teilen, und es war ein sehr warmer Maiabend. Außerdem war sie zu aufgewühlt, um schlafen zu können. Sie beschloss, noch einen nächtlichen Spaziergang durch die Feste zu machen, als sie die Schritte von mehreren Wachen hörte. Die Edelfräulein, die bereits begonnen hatten, ihre Oberkleider abzulegen, rafften sie hastig wieder zusammen, gerade noch rechtzeitig, bis Otto erschien. Alle schauten sie einander verwirrt an. Natürlich war dies eine Art Hochzeitsnacht, doch niemand hatte mit seinem Auftauchen gerechnet – Beatrix war noch nicht zur Frau gereift, und das wusste er. Trotzdem knieten sie alle nieder, als er den Raum betrat.
»Können wir Euer Gnaden behilflich sein?«, fragte Judith und erhob sich.
»Wisst Ihr«, sagte Otto gedehnt, »das frage ich mich selbst. Ich bin ein Mann voller Erwartungen, und dies ist meine Hochzeitsnacht.«
»Das kann nicht Euer Ernst sein«, stieß Judith hervor. Die Hofdamen schauten sie bestürzt an. »Sie ist noch ein Kind.«
»Nun, ich bin nicht erpicht darauf. Genauer gesagt, die Aussicht ekelt mich sogar an. Aber solange die Ehe nicht vollzogen ist, so lange kann sie ohne weiteres annulliert werden, und man weiß als König nie, wann die Kirche einem nicht mehr ganz so wohlwill, nicht wahr? Außerdem scheint mir, meine Gemahlin braucht eine Lektion darin, wer in dieser Ehe das Sagen hat.«
Man hat den falschen König ermordet, dachte Judith und fühlte sich wie damals, als sie den Altenburgberg hinunterrannte, nur dass diesmal rote Funken vor ihren Augen tanzten. Doch das würde Beatrix nicht helfen. Nichts und niemand konnte das Mädchen schützen, wenn sie es nicht tat; Recht und Gesetz gaben Otto die Möglichkeit, mit seiner Braut zu tun, was auch immer er wollte.
Sie sammelte sich und griff nach dem Kern aus Eis, der sie aufrechterhielt, wenn sie einen schweren Eingriff vornahm. Dann sagte sie sehr ruhig: »Es gibt Frauen, die eine Lektion noch viel dringender benötigen als Eure Gemahlin, Euer Gnaden. Die dankbar für eine solche Lektion wären.«
Otto musterte sie. »Ist das so?«
»Ja, Euer Gnaden«, sagte Judith und ließ ihre Stimme ein wenig kehlig klingen. Sie machte sich nichts vor: Wenn Otto auf ihr Angebot einging, dann nicht, weil er sie unwiderstehlich fand, sondern weil sie jemand war, der sich bisher seinen Demütigungen immer entziehen konnte, und das machte den Reiz einer lange hinausgezögerten Unterwerfung aus. Sie war kein Mädchen mehr, und es musste jüngere und schönere Frauen geben, die bereit waren, einem König zum Zeitvertreib zu dienen, aber ihr war klar, die wollte er jetzt nicht.
Es gibt Schlimmeres, dachte Judith. Das schlafende Kind in der Kemenate vergewaltigen zu lassen, das war schlimmer.
»Also gut«, sagte Otto abrupt. »Aber diesmal, Magistra, wird es keine Verzögerungen geben. Keine Listen.« Er schnipste mit den Fingern. »Ihr könnt gehen«, sagte er zu den Edelfräulein.
»Aber …«
»Hinaus«, sagte er scharf. »Es ist mir gleich, wo Ihr die Nacht verbringt, aber nicht hier. Wagt es nicht, vor morgen früh zurückzukommen!« Sie flohen.
»Auf die Knie«, sagte er zu Judith, während er sein Gewand hochzerrte. »Wir werden sehen, ob Euer Mund noch für andere Dinge gut ist, als Lügen zu plappern. Für den Anfang.«
* * *
Markwart, dachte Walther, ich muss unbedingt herausfinden, wie es um Markwart steht. Lucias Stellung als Amme der Königskinder würde ihr einen festen Platz verschaffen, auch wenn die Mädchen eines nach dem anderen alt genug wurden, um verheiratet zu werden, aber was nach Philipps Tod aus Markwart geworden war, hatte er noch nicht in Erfahrung bringen können. Als er seinem alten Freund zum letzten Mal begegnet war, hatte dieser zum Geleit für Irene von Bamberg nach Hohenstaufen gehört.
Da es Freundespflicht war und niemand hier seine Frage wohl so gut beantworten konnte, musste er wohl Judith aufsuchen. Im Übrigen konnte er bei dieser Gelegenheit auch der kleinen Königin für ihren Liederwunsch danken, verschleiert natürlich, doch sie würde ihn schon verstehen. Sich damit versichernd, dass er nichts als freundschaftliche
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