Das Spiel der Nachtigall
Vermutlich ahnte er auch, dass sie ihn nicht bei Otto der Lüge zeihen würde, nicht, wenn sie bei Beatrix bleiben wollte. Besser hätte er sich nicht rächen können.
In Frankfurt hatte Beatrix ihre Hochzeit als trauernde Tochter noch aufschieben können, doch nun, da der Tod ihres Vaters sich bald jährte, war das nicht mehr möglich. Überdies hatte Otto vor, die Alpen zu überqueren und sich in Rom vom Papst zum Kaiser krönen zu lassen. Nachdem er einmal schlechte Erfahrungen mit einer ihm versprochenen Kinderbraut gemacht hatte, bestand er diesmal darauf, Beatrix vor seiner Reise in Würzburg vor aller Augen den Ring anzustecken. »Eure Ärztin wird Euch sagen können, wie ich Hochzeiten liebe«, hatte er in Frankfurt betont freundlich erklärt, bei seinem ersten und einzigen Gespräch mit Beatrix, das nur in Gesellschaft ihres Vormundes, des Bischofs von Speyer, und zwei ihrer Hofdamen stattgefunden hatte.
»Herr Otto hält fürwahr seine Versprechen«, sagte Beatrix, als sie in Würzburg inmitten all der welfischen Standarten auch eine der Staufer gewahrte. Sie ließ ihre Stimme ein wenig ansteigen, so dass es von einer Feststellung zu einer Frage wurde.
»Er hat Eurem Vater Gerechtigkeit zuteilwerden lassen, Euer Gnaden«, entgegnete Judith, obwohl die ehrerbietige Anrede für eine Königin noch neu war und beide an Beatrix’ Mutter erinnerte. Sie war froh, etwas ohne Heuchelei behaupten zu können, um das Mädchen zu beruhigen. Heinz von Kalden hatte den Wittelsbacher aufgespürt und ihm mit eigenen Händen den Kopf vom Leib getrennt. Auch die anderen beteiligten Andechs-Meranier waren für gesetzlos erklärt worden. Da sie an den Hof ihrer Schwester in Ungarn geflüchtet waren, ließ sich nicht mehr tun, doch immerhin konnte Beatrix sicher sein, dass die Familie keinen Gewinn aus dem Mord an ihrem Vater gezogen hatte. Das ist mehr, als man vom Landgrafen von Thüringen und seinem Schwiegersohn behaupten kann, dachte Judith bitter. Hermann von Thüringen hatte Otto umgehend zu Philipps Nachfolger ausgerufen und sich zu seinem Anhänger erklärt. Anschließend verfügte er schon wieder über ein paar Städte mehr, und er war unter den Gästen in Würzburg, mit seiner gesamten Familie.
»Das hat er. Wird – wird er auch seine Versprechungen halten, meine Schwestern nicht ins Kloster zu stecken? Kunigunde hat mir damit die ganze Nacht in den Ohren gelegen, ehe wir Speyer verlassen haben. Sie hat Angst davor.«
»Eure Schwestern sind nun seine Schwägerinnen, Euer Gnaden, somit wertvolle Handelsobjekte, mit denen er wuchern und Bündnisse schließen kann«, erwiderte Judith nüchtern. »Er wird sie nicht verschwenden.«
Beatrix nickte und biss sich auf die Lippen. Dann ließ sie Judith los, hob die Hand und winkte den Menschen zu, die ihr zujubelten. Sollten die Würzburger Konrads Tod immer noch Philipp nachtragen, so galt dies nicht für seine Tochter, nicht, nachdem Philipp selbst ermordet worden war. Beatrix war zwar nicht klein für ihr Alter, aber eindeutig noch ein Kind, mit der flachen Brust und dem runden Gesicht – und sie war die Verkörperung des Friedens, der nun zwischen Staufern und Welfen herrschte. Es gab niemanden, der sie nicht schon deswegen schätzte. Es wäre töricht von Otto, sie anders als mit Achtung zu behandeln, sagte sich Judith zum hundertsten Mal, war aber alles andere als beruhigt.
Hastig listete sie sich Errungenschaften Ottos auf, die ein Gegengewicht zu ihrer Meinung über ihn darstellen mochten: Er hatte seit seinem Regierungsantritt einen Königsritt durch das ganze Reich unternommen, Fehden geschlichtet, Recht gesprochen und bisher ein gutes Gleichgewicht an Güterverteilung gehalten zwischen seinen Anhängern, die sich für die jahrelange Treue unter widrigen Umständen reiche Belohnung erwarteten, und den staufischen Anhängern, die ihm nun folgten, weil er Beatrix heiratete, und erwarteten, dass er sich ihnen gegenüber als großzügig dafür erwies. Das war nicht einfach gewesen, doch er hatte es geschafft. Im Gegensatz zu seinem Ruf, rachsüchtig zu sein, hatte er sich auch mit seinem Bruder versöhnt; der Pfalzgraf von Braunschweig und seine Gemahlin gehörten ebenfalls zu den Würzburger Gästen. Da Judith selbst einiges darüber wusste, wie schwer es war, der eigenen Familie einen Verrat zu verzeihen, musste sie zugeben, dass es für Otto sprach, seine neue Macht nicht dazu zu nutzen, seinen Bruder für dessen Seitenwechsel zu bestrafen. Vielleicht war
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