Das Spiel der Nachtigall
Nachfolger bestätigen zu lassen. Bei der Gelegenheit wird wohl auch Eure Ehe geschlossen werden.«
»Ich verstehe«, sagte Beatrix und reckte das Kinn in die Höhe, sehr bemüht, tapfer zu sein. »Wenn Herr Otto sein Wort hält, für Frieden im Reich sorgt und für Gerechtigkeit, dann werde ich gerne seine Frau.«
Walther schaute über Beatrix’ Schulter hinweg zu Judith. Obwohl er sich geschworen hatte, ihr gegenüber endlich gleichgültig zu werden, schnitt ihm der Kummer und die Sorge, mit der sie Beatrix betrachtete, zutiefst ins Herz.
VII. Frauenlied
1209–1212
Kapitel 42
D ie Feste von Würzburg war über und über mit Gold und Rot geschmückt, den Farben König Ottos, goldene Löwen auf rotem Grund. Beatrix hielt Judiths Hand, nachdem sie aus der Sänfte gestiegen war, mit der man sie auf die Feste gebracht hatte, doch ansonsten ließ sie sich nicht anmerken, was sie empfand.
Noch einen Monat, dann würde sich der Tod ihres Vaters jähren. Noch drei Monate, und auch der Tod ihrer Mutter würde das tun.
Judith schmeckte immer noch das Salz ungeweinter Tränen, wenn sie daran dachte. Philipps Tod war für sie vor allem wegen der Folgen für Irene und deren Töchter ein Schlag gewesen und wurde, soweit es Judith betraf, durch den Tod von Gilles noch übertroffen. Aber Irene, Irene war etwas ganz anderes. In der stickigen Augusthitze auf Hohenstaufen war mit einer Fehlgeburt auch Irenes Leben ausgeblutet, trotz allem, was Judith tat, um es zu verhindern.
»Was hat die arme Seele jetzt noch, wofür sich zu leben lohnt?«, hatte eine der Hofdamen gefragt. Um ein Haar hätte Judith der Versuchung nachgegeben, die hoch edle Gräfin ins Gesicht zu schlagen.
»Ihre Töchter«, hatte sie mit zusammengebissenen Zähnen erwidert. »Ihre lebenden Töchter und sich selbst.« Ob Irene das noch hörte oder nicht, sie hatte um ihr Leben gekämpft, doch nicht gewinnen können. Während Judith ihr Trank nach Trank einflößte, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen, und versuchte, die Blutungen zu stillen, hatte Irene geflüstert: »Meine Magistra. Ich habe immer geglaubt, mir könne nie etwas geschehen, wenn Ihr bei mir seid, mir und meinen Kindern. Wäre es ein Junge geworden?« Das Kind war im sechsten Monat gewesen, jenseits aller Hoffnung aufs Überleben, aber in der Tat von männlichem Geschlecht.
»Ich hätte Euren Sohn gerne gerettet, meine Königin«, hatte Judith mit erstickter Stimme gesagt. Darauf hatte sich die Königin noch einmal aufgestützt, Judiths Schulter ergriffen und ihr ins Ohr geflüstert: »Dann müsst Ihr bei meiner Tochter erfolgreicher sein. Schwört mir, dass Ihr Beatrix nicht verlassen werdet.«
»Ihr werdet sie selbst …«
»Nein. Auch wenn ich überlebe, der Welfe wird mich nie an seinem Hof dulden, nicht Philipps Witwe. Ihr müsst auf meine kleine Beatrix aufpassen, Magistra, schwört es mir! Was auch geschieht?« Es wäre sinnlos und grausam gewesen, darauf hinzuweisen, dass Otto Judith vermutlich noch weniger an seinem Hof dulden würde, aber sie ließ sich zum zweiten Mal zu einem Versprechen hinreißen, das sie Irene nicht hätte geben sollen.
»Was auch geschieht.«
Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie ihr Versprechen halten sollte, aber das Schlimmste, das Allerschlimmste war, dass es sich als leichter herausstellte, als sie für möglich gehalten hatte. Im November, als der Hoftag in Frankfurt Otto formell als König bestätigte, Beatrix als Philipps älteste Tochter die Mörder ihres Vaters vor ihm anklagte und er ihr vor den Fürsten des Reiches versprach, sie zu heiraten, da war Judith ihrem Onkel wiederbegegnet. Stefan hatte ihr keine Vorwürfe gemacht, weil sie ihn und Paul ausgenutzt hatte. Stattdessen hatte er bewiesen, wie gut er sie trotz allem immer noch kannte – und ihr einen Schlag versetzt, der tiefer ging: »Ich habe jedermann am Hof wissen lassen, was Otto dir schuldet.«
»Was er mir …«
»Das war ein Stauferkind, das nie lebend zur Welt kommen durfte. Für den Frieden des Reiches musste es sterben, sonst wäre der gerade geschlossene Frieden nichts wert. Und wer war besser geeignet als du, um eine Fehlgeburt einzuleiten? Meinen Glückwunsch. Unter diesen Umständen ist Otto natürlich bereit, dich als Leibärztin seiner neuen Königin anzunehmen.«
Sie wäre lieber öffentlich als Hure bezeichnet worden, als dass ihr unterstellt wurde, sie hätte ihren Eid als Ärztin und ihre Zuneigung für Irene verraten, und das wusste Stefan.
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