Das Spiel der Nachtigall
wenn er mich nicht schon deshalb hin und wieder in seiner Nähe haben will, um sich an meiner Machtlosigkeit zu weiden. Erging es Euch denn anders, Euer Gnaden?«
Jutta starrte sie an. »Nein«, murmelte sie. »Aber was für einen Unterschied macht es für mich, ob Otto auf dem Thron sitzt oder ein anderer? Was ändert das für mich? «
Judith ließ Walther los und erhob sich aus dem Wassertrog, nackt und nass, und doch erschien sie Walther in diesem Moment wie ein Ritter, der in seine Rüstung gehüllt zum Kampf antrat. Sie kniete vor Jutta nieder.
»Ihr wäret kein Faustpfand mehr, kein Instrument für Euren Vater und Euren Gatten. Sie wären die Euren. Die Männer dieses Reiches haben ihre Herrscher bestimmt, und wir hatten zehn Jahre Krieg und Elend, Morde um Morde und am Ende einen Mann auf dem Thron, dem niemals Macht über Schwächere gegeben werden sollte, nicht über Frauen, nicht über Männer, unter keinen Umständen. Lasst uns einen besseren König machen, Jutta von Meißen. Einen unserer Wahl.«
Erst, als Jutta tief Atem holte, merkte Walther, dass er den seinen noch anhielt. »Aber wer sagt uns, dass dieser König besser sein wird? Was, wenn wir uns nur vom Regen in die Traufe begeben?«
Es war eine berechtigte Frage. Seine eigene Antwort, die er wohlweislich für sich behielt, lautete, dass der junge Friedrich ein nutzloser Trinker sein konnte, aber er würde ihn sich selbst dann auf den Thron wünschen, wenn es nur bedeutete, dass Otto ihn verlor. Bis auf Botho hatte er nie jemanden so gehasst wie Otto von dem Moment an, als er Judith im Vorzimmer der Königin sah. Und Otto war schlimmer, denn er besaß mehr Macht als Botho selbst in seinen kühnsten Träumen. Zum ersten Mal erinnerte sich Walther absichtlich an die Qualen der Hölle, so wie er sie den Papst in Rom hatte schildern hören, und wünschte sie einem Menschen aus ganzem Herzen.
Über das Jenseits hatte kein Mensch Gewalt, und das war wohl gut so – aber im Hier und Jetzt konnten sie gemeinsam Berge versetzen. In diesem Augenblick, während er auf Judith und Jutta blickte, glaubte er es, ohne Spott und Zweifel, mehr, als er irgendetwas in seinem Leben geglaubt hatte.
»Walther«, erwiderte Judith. Zuerst dachte er, sie spräche zu ihm, bis ihm klarwurde, dass sie Juttas Frage beantwortete. »Walther wird es uns sagen. Er wird die Alpen überqueren und ihn finden, den letzten Staufer, und er wird mit der Antwort zurückkehren, noch ehe Otto es tut.«
Jutta hob eine Augenbraue. »Ihr haltet Walther für einen guten Menschenkenner? Den Mann, der mich Euretwegen aus seinem Bett geworfen hat und dann noch nicht einmal die Vernunft hatte, darüber zu lügen?«, fragte sie spöttisch. Judiths Mundwinkel hoben sich. Walther wusste nicht, ob er empört oder erleichtert darüber war. Unter anderen Umständen hätten ihm zwei Frauen, die über seine Schwächen zu Verbündeten wurden, ganz und gar nicht behagt, aber in der Lage, in der sie sich gerade befanden, musste ein Mann wohl Opfer bringen.
»Er kann manchmal ein Narr sein«, räumte Judith ein; dann schaute sie zu ihm und sagte sehr ernst: »Aber es gibt niemanden, dem ich mehr vertraue, mit meinem Verstand und meinem Herzen. Ich habe das Schlimmste gesehen, dessen er fähig ist, und er hat das Schlimmste gesehen, was ich vermag. Wenn wir einander nicht vertrauen können, wem dann?«
Er hörte die Vergebung und Bitte um Verzeihung in ihrer Stimme. Seit Speyer hatten eiserne Bande um sein Herz gelegen, und wenn sich auch in Bamberg das Band ein wenig gelockert hatte, so fiel es doch erst jetzt, und das Fallen machte ihm klar, wie schwer er daran getragen hatte. Aber sie hatte in ihren braunen Augen immer die Schlüssel zu seinem Herzen getragen; es war mehr als an der Zeit, aufzuhören, sich vorzumachen, dass es je anders sein würde.
»Mir, wie es scheint«, sagte Jutta trocken. »Da Ihr wohl nicht damit rechnet, dass ich umgehend zu Otto renne und ihm erzähle, was Ihr gerade von Euch gegeben habt.«
»Das wäre Eure Wahl«, sagte Walther zu ihr. »Und wie die Magistra sagte – es ist mehr als an der Zeit, dass wir alle in diesem Raum die Möglichkeit haben, eine Wahl zu treffen.« Er schenkte der Markgräfin ein Lächeln. »Aber als schlechter Menschenkenner maße ich mir an, Euch besser zu kennen, Jutta. Ihr seid kein Stück Falschgold, das ständig in andere Formen gehämmert werden will. Ihr seid ein Edelstein.«
Jutta schüttelte den Kopf und seufzte. Dann nahm sie Judiths
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