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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nüchtern. »Als jemand, der Erfahrung in solchen Dingen hat, kann ich Euch versichern, dass es einen vergiftet, wenn man nicht bereit ist, eines von zwei Dingen zu tun: sich damit abzufinden oder sich des Mannes endgültig zu entledigen. Und mit Verlaub, Ihr scheint mir nicht die Frau zu sein, die einen Kaiser tötet und sich dafür vierteilen lässt. Von dem Bann würde ich mir an Eurer Stelle auch nicht viel erwarten. Wenn er klug ist, dann ahmt er nicht Kaiser Heinrich, sondern den alten Kaiser Rotbart nach und nutzt seine Truppen in der Nähe von Rom, um dem Papst klarzumachen, wer der Mächtigere ist. Wie Ihr schon sagtet – wen gibt es jetzt noch, der ihn aufhalten kann? Mein eigener Vater liebt das Spiel um Macht und Land so sehr wie nur irgendein Fürst und war sich dennoch gewiss, dass letztes Jahr sein letzter großer Wurf stattgefunden hat.«
    Judiths Augen brannten sich in Walthers; er wurde an die alte Geschichte von dem Vogel erinnert, der sich aus seiner Asche erhebt. Es war ihm, als nehme sie ihre Demütigung, ihre Verzweiflung, mache sie zu glühendem Metall und schmiede ein Schwert daraus. »Es gibt uns«, sagte sie.
    »Ich glaube, jetzt sprecht Ihr irre«, sagte Jutta. Doch Walther begann zu begreifen, und was er erfasste, war so kühn und ungeheuerlich, dass es ihm den Atem nahm.
    »Ich bin eine Ärztin«, sagte Judith würdevoll. »Ich töte niemanden. Walther, du bist ein Sänger, der es nicht versteht, eine andere Waffe zu führen als seine Zunge. Und Ihr, Euer Gnaden, seid ein Faustpfand, wie alle Eures Standes, das hierhin und dahin geschickt wird, wie es gerade nützlich ist. Aber wir haben Verstand. Und mein Verstand sagt mir, dass der Papst nicht der Einzige ist, der Otto nicht als allmächtigen Kaiser sehen will. Die deutschen Fürsten sind in den letzten zehn Jahren auf den Geschmack gekommen, sich von zwei Seiten umwerben zu lassen, statt einfach nur hinzunehmen, was ihnen wie Hunden von der Tafel zugeworfen wird. Außerdem gibt es noch jemanden im Königreich Sizilien, einen gewählten deutschen König, der nicht Otto heißt. Beatrix ist nicht die letzte staufische Erbin.«
    »Friedrich?«, fragte Jutta ungläubig. »Ein Knabe kann kein König sein, das haben wir doch seinerzeit morgens, mittags und abends von allen Seiten gehört.«
    »Nur, dass er kein Kind mehr ist«, stellte Walther fest. »Nach normannischem Recht ist er mit Erreichung seines fünfzehnten Lebensjahres mündig geworden.« Er drehte den Kopf zu Jutta und sah, dass sie ihn und Judith mit einer Mischung aus Misstrauen, Neugier und beginnender Sehnsucht musterte. »Ihr kennt Euren Vater viel besser, als ich es je könnte. Vielleicht irre ich mich, doch mir scheint, wenn er die Möglichkeit hätte, noch einmal im Spiel um Macht und Thron mitzuwirken, noch einmal einen König zu schaffen, er würde es tun.«
    »Als du in Frankfurt warst«, sagte Judith zu ihm, »da konntest du sie lenken, da hattest du Macht über sie, durch deine Worte. In Rom hast du erlebt, was Worte an Angst und Furcht säen können, in Wien, was an Hass. Worte sind mächtig.«
    »Die Geschichte von David und Goliath ist nur eine Geschichte aus alten Tagen«, sagte Jutta, doch ihre Stimme ließ Zweifel erkennen. »Herr Otto hat Streitkräfte, und ganz gleich, was die Zukunft bringen mag, jetzt hat er den Segen der Kirche und den Gehorsam eines Reiches.«
    Judith wandte sich erneut ihr zu. »Es wird nicht von heute auf morgen geschehen. Erst muss er seine Maske dem Papst gegenüber fallen lassen. Aber es wird geschehen, und was wir bis dahin gesät haben, davon werden wir ernten können. Die Fürsten werden bereit sein, einen neuen König zu wählen. Otto wird verlieren, was ihm kostbarer ist als das Leben: seine Macht und alles Ansehen, was er je errungen hat.«
    »Es ist Wahnsinn«, sagte Jutta von Meißen.
    »Das sind alle Taten, die die Welt verändern, wenn man sie beginnt«, entgegnete Walther. »Was ist härter, Wasser oder Stein? Und doch höhlt Wasser Stein und bringt ihn zu Fall. Herr Otto wird nie glauben, dass irgendjemand, der weniger Macht hat als er, anders kann, als sich ihm zu unterwerfen und ihm zu schmeicheln. Wenn ich sein Lob singe, welchen Grund soll er haben, etwas anderes zu glauben, als dass ich sein Wohl will, auf dass er meines mehre? Wenn ich von Fürstenhof zu Fürstenhof ziehe, dann wird er nie etwas anderes glauben, als dass ich ihn besinge.«
    »Er glaubt mich gebrochen«, fiel Judith ein. »Es sollte mich wundern,

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