Das Spiel der Nachtigall
Hand und half ihr auf. »Es wäre wirklich besser, wenn ich nach Sizilien ginge, aber mir fehlt die Rechtfertigung. Nun, Magistra, mir scheint, die Wahl ist sehr einfach. Wenn ich Euch und Herrn Walther bei Otto verklage, dann bringt das meinem Gatten noch nicht einmal eine zusätzliche Burg, und mir überhaupt nichts als weitere Jahre des Lebens, das ich bisher geführt habe. Wenn ich Euch helfe, so irrsinnig Euer Plan auch ist, dann lebe ich schlimmstenfalls ein paar Jahre in der Hoffnung, die Welt verändern zu können – aber bestenfalls gelingt uns dies.«
Kapitel 43
W olfger zeigte sich ein wenig verwundert, als Walther ihn darum bat, ihn über die Alpen begleiten zu dürfen. »Ich hätte nie gedacht, dass Ihr Rom je wiedersehen wollt, nach Euren bisherigen Erfahrungen, Herr Walther.«
»Es wird die Krönung eines Kaisers sein. Das ist eine Überwindung meiner Abneigung wert. Wann in meinem Leben werde ich je wieder die Gelegenheit haben, so etwas beizuwohnen? Ihr, Patriarch, seid unzerstörbar, doch unsereins hat im Winter sehr kalte Zehen, und es würde mich nicht wundern, wenn mich das Alter mehr früher als später einholt und es mir unmöglich macht, weiter durch die Welt zu ziehen.«
»Ihr reist im Allgemeinen auch weniger bequem als ich, ich weiß«, sagte Wolfger trocken. »Herr Walther, Ihr seid in meinem Gefolge willkommen, aber wenn es Euch nur darum geht, dass ich Herrn Otto eine Empfehlung für Euch gebe, dann kann ich das sehr wohl auch auf dieser Seite der Alpen tun.«
»Das ist sehr gütig von Euch, Euer Gnaden, doch ich meine es ernst mit der Krönung. Euer Gnaden, ich sehe mich als ein Chronist unserer Zeit, also muss ich einfach dabei sein.« Er schaute sich um, doch keiner von Wolfgers Leuten war in Hörweite, also fügte er als letztes Argument hinzu: »Wenn Ihr die Gelegenheit hättet, würdet Ihr dann nicht mit Siegfried, Gunther und Hagen nach Island gehen, um Siegfried dort gegen Brünhild kämpfen zu sehen?«
»Herr Walther«, entgegnete Wolfger, »Siegfried kämpfte nicht offen, sondern als Teil eines Betrugs, der ihm schließlich seinen Tod einbrachte.«
»Wohl wahr. Aber den Wettkampf habt Ihr trotzdem so geschildert, dass man spürt, dass Ihr gerne dabei gewesen wäret. Ihr seid ein Mann Gottes, Euer Gnaden, sprecht die Wahrheit. Wäret Ihr gerne dabei gewesen?«
»Das wäre ich.«
Beatrix und ihre Damen verließen Würzburg in Richtung Speyer, wo die junge Königin mit ihren Schwestern leben würde, bis sie ihre monatlichen Blutungen bekam, während Otto und sein Gefolge nach Augsburg reisten, wo sich sein Heer versammelte, um ihn auf dem Weg zu seiner Krönung zu begleiten. Da Judith sich während der restlichen Woche in Würzburg ständig an Beatrix’ Seite aufgehalten hatte, fand Walther nur noch eine Gelegenheit, alleine mit ihr zu sein. Es war ein seltsames Gefühl: unsicher, befreit und wund zugleich. Was sie empfand, konnte er sich kaum vorstellen.
Er begleitete sie zu dem Neumünsterstift, wo sie ihre Kräutervorräte um Sonnenhut, Salbei, Wermut, Kamille, Baldrian und Königskerze ergänzen wollte. Vielleicht fand er es zu Anfang gerade schwer, mit ihr zu sprechen, weil sie nun keine Zeugen hatten noch unter der unmittelbaren Nachwirkung von Ottos Tat standen. Es gab gleichzeitig so viel, was er sagen wollte, und zu wenig Zeit, um es auszudrücken. Er verfiel also auf die Frage nach Markwart und erfuhr, dass der Bischof von Speyer ihn zum Haushofmeister für die jüngeren Königstöchter gemacht hatte. Dann erzählte er, dass ihm Wolfger den Platz im Tross nach Rom verschafft hatte, doch auch dieses Thema überbrückte nur einen Teil des Wegs. In seinem Kopf wälzte er Fragen hin und her, und jede schien ihm voller Lasten, die in die falsche Richtung führten.
Endlich platzte er heraus: »Wie geht es dir?«
Es waren ärmliche vier Worte, und doch hatte er keine anderen gefunden. Als er nach seinen Wochen in Rom von Alpträumen heimgesucht worden war, da waren es ihre Arme und ihr warmer Körper gewesen, der bloße Klang ihrer Stimme, was ihn geheilt hatte. Er sehnte sich danach, für sie jetzt das Gleiche zu tun, aber gleichzeitig war er von der Furcht geplagt, dass sie nach ihrem Erlebnis mit Otto vor ihm zurückscheuen würde, wenn er mehr tat, als nur ihre Hand zu berühren.
Er wollte ihr sagen, dass es ihm leid um Gilles tat, und ein winziger, hartnäckiger Teil von ihm, den er entschlossen unterdrückte, wollte sie fragen, warum sie ihm nie die
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