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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Wahrheit über die Gültigkeit ihrer Ehe gesagt hatte. Er wollte sie fragen, ob sie sich wirklich stark genug fühlte, um Otto wieder zu begegnen, was früher oder später der Fall sein würde, aber er befürchtete, dass es wie ein Zweifel an ihr klingen musste.
    Letztendlich blieben nur diese vier Worte übrig.
    »Ich bin … ich selbst«, entgegnete sie zögernd. »Ich dachte, das würde nicht so sein. Aber es ist so.«
    »Wenn du dir je wünschen solltest, weniger als du und mehr wie ich zu sein«, sagte er, sich immer noch an den Spuren seiner eigenen Erinnerungen entlangtastend, »dann sag es mir, und wir überlassen das Reich und Otto einander und laufen fort. Ich bin gut im Weglaufen. Eine Ärztin hat mir das einmal bestätigt. Und manchmal kann es ein Heilmittel sein.«
    Es war nicht der Versuch, von ihrem Plan zurückzutreten, sondern nur eine Art, ihr zu zeigen, dass sie eine Wahl hatte. Sie musste keine Heldin sein. Ihre Finger berührten die seinen und drückten sie, aber sie sagte nichts. Das neue Schweigen zwischen ihnen war ein behutsames, tastendes, ganz wie ihre Finger.
    Im Neumünsterstift führte man Judith in den ummauerten Garten. Der würzige Geruch des Rosmarins nahm Walther einen Moment den Atem. Judith zog ihr Messer und begann, einige der Zweige abzuschneiden. Sie reichte ihm eine der blassblauen Blüten. »Rosmarin«, sagte sie, »für die Erinnerung.«
    Mit einem Mal fragte er sich, was er täte, wenn sie aus dieser Welt verschwände; wenn er aus Italien zurückkehrte und sie nicht wiederfände, nirgendwo. Die vergangenen zwei Jahre waren bitter gewesen, aber er hatte immer gewusst, wo sie sich befand und dass es eine Judith gab. Sie nicht mehr auf der Welt zu wissen, war so unmöglich, wie sich die Luft zum Atmen fortzudenken. Aber auch das konnte er ihr jetzt nicht sagen, und so fiel er auf seine alte Gewohnheit zurück und machte einen Scherz daraus.
    »Und ich dachte, Rosmarin sei das Mittel gegen Blähungen, solltest du das nicht wissen? Ach, diese Schule von Salerno, ich habe sie immer für ein Gerücht gehalten und gewusst, dass ihre Ärzte allesamt nichts taugen.«
    Ein Lächeln stahl sich in ihr Gesicht, und er wusste, dass auch sie an ihre erste Begegnung dachte. »Es hilft bisweilen auch gegen Kopfschmerzen«, erwiderte sie, ein Echo ihres unbeschwerten, neckenden Tones in der Stimme, »wie sie von Sängern verursacht werden, die zu viel schwatzen.«
    »Dann werde ich es nie benötigen, denn ich habe nie ein Wort zu viel gesprochen, und jedes Wort aus meinem Mund ist eine Perle«, er machte eine ausufernde Geste, »und daher werde ich die Blüte unzerstört an meinem Herzen wahren.«
    Trotz der Übertreibung, um sie zum Lachen zu bringen, war es doch nichts als die Wahrheit: der Rosmarin, der Garten, Judith in ihrem Arbeitskittel, mit den roten Locken, die sich unter ihrer zurückgerutschten Haarbinde hervorstahlen – er wusste, dass er dieses Bild bei sich tragen würde, bis er starb.
    * * *
    Diepold von Schweinspeunt hatte ertragreiche Jahre im Königreich Sizilien hinter sich – bis der verwünschte Junge seinen vierzehnten Geburtstag feierte und umgehend auf den Gedanken kam, er könne nun selbst regieren. Schlimmer noch, der Papst hatte ihm die Heirat mit Constanza von Aragon vermittelt, die genügend Ritter als Mitgift mitbrachte, um zu verhindern, dass man den Jungen einfach auslachen konnte. Einer der ersten Erlässe, die Friedrich sich einfallen ließ, war, sämtliche Großgrundbesitzer im Königreich aufzufordern, ihre Besitzurkunden vorzulegen. Wenn die Übereignung von Gütern, Ämtern und Pfründen auf die Zeit nach dem Tod seiner kaiserlichen Mutter zurückging, sollten sie für ungültig erklärt werden, es sei denn, Friedrich selbst bestätige sie.
    Das war unerhört! Diepold von Schweinspeunt war nicht gesonnen, sich dergleichen bieten zu lassen. Andererseits hielt er es auch für unter seiner Würde, sich mit einem Bengel anzulegen, der von Glück sagen konnte, überhaupt auf einem Thron zu sitzen. O nein, nicht Diepold von Schweinspeunt. Stattdessen beschloss er, zur Krönung des Welfen nach Rom zu reisen. Es wurde Zeit, dass jemand dem undankbaren Frechling eine Lektion erteilte, und er konnte sich keinen Besseren vorstellen als den neuen Kaiser Otto. Was tat es schon, dass der Junge König war? Über allen Königen stand der Kaiser, und er hatte schon einmal auf der Seite eines Kaisers sein Glück gefunden.
    Er kam gerade noch rechtzeitig zur Krönung an,

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