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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Walther und ließ Judiths Äußerung über Meirs anmaßendes, selbstgerechtes Verhalten fort. »Ich muss gestehen, ich bin überrascht, Euch hier vorzufinden. Nachdem wir in Salerno von dem Unglück in Byzanz hörten, fürchtete Eure Familie das Schlimmste.«
    Nun wirkte Meir geradezu verlegen. »Einer der Ritter, der mit Diepold von Schweinspeunt befreundet ist und deswegen hier in Sizilien ein Gut besaß, hat mich mitgenommen, als er aus der Stadt floh. Ich, nun, es gab gewisse Umstände … kurzum, ich habe mir hier in Sizilien ein neues Leben aufgebaut.«
    »Ohne Eure Familie in Salerno wissen zu lassen, was aus Euch geworden ist?«, konnte Walther nicht umhin, zu fragen.
    »Ich hatte meine Gründe«, erwiderte Meir spröde, »die nur mich etwas angehen. Doch bitte ich Euch, meiner Familie nicht zu erzählen, dass Ihr mich hier gefunden habt.«
    »Nun, Magister«, sagte Walther gedehnt, »es gibt da einen großen Gefallen, den Ihr mir erweisen könnt …«

    Der Freund Diepolds von Schweinspeunt, der Walther mit zwei seiner Knappen begleitete, war nicht gut auf den jungen Friedrich zu sprechen und schimpfte auf dem ganzen Weg nach Catania darüber, wie undankbar es von »dem Zaunkönig« sei, zu verordnen, dass man seine Besitzurkunden der königlichen Kanzlei vorzulegen habe. »Und woraus besteht die königliche Kanzlei, was meint Ihr? Aus seinem alten Lehrer, aus einem Possenreißer von Sänger – nichts für ungut –, ein, zwei Scholaren, die noch nicht einmal Normannen sind, ganz zu schweigen davon, dass sie deutsches Blut in sich hätten, und aus einem Sarazenen. Das schlägt doch dem Fass den Boden aus! Gewiss, die Mauren sind ein Teil der Insel, und man lernt, mit ihnen zu leben. Pferde züchten können sie auch, das muss ich zugeben. Aber das heißt doch nicht, dass man die gleichen Kerle, mit denen wir uns im Heiligen Land um jeden Zoll Bodens streiten, ermächtigen soll, über die Rechtmäßigkeit unserer Besitzansprüche zu urteilen. Unerhört ist das!«
    »Wenn Ihr in Byzanz dabei wart, habt Ihr da auch versucht, einen Teil christlichen Besitztums …«
    »Das war doch etwas ganz anderes.«
    »Natürlich war es das«, stimmte Walther zu und stellte fest, dass es sich fern von Palermo ausgesprochen angenehm durch die Landschaft Siziliens reiten ließ. In seiner Heimat hätte man um diese Jahreszeit mit nasskaltem Regen oder gar Schnee rechnen müssen, hier dagegen war die Luft lieblich mild, und da sie zunächst die Uferstraße an der Küste entlangritten, brauchte er sich wegen der dunkel bewaldeten, unpassierbar erscheinenden Bergkuppen keine Sorgen zu machen. Der Ritter, der seinen Namen trotz seines Geschimpfes bereits von einem deutschen Wilhelm zu einem sizilianischen Gugliemo gemacht hatte, sagte etwas von Sarazenennestern, denen man aus dem Weg gehen müsse, doch irgendwann konnten sie es dann doch nicht mehr vermeiden, sich in das Landesinnere zu wenden. Das zu durchquerende Schilf war manchmal mannshoch; die Palmen, Lorbeerbäume und Myrten, welche folgten, gaben Walther bisweilen das Gefühl, durch den Garten Eden zu reisen. Als ihn Herr Gugliemo auf eine helle Rauchwolke über einer Bergspitze hinwies, fragte er: »Ist das der Ätna?«
    »Wir nennen ihn Mongibello. Die Insel ist voller Vulkane. Deswegen gibt es hier auch den stärksten Wein des ganzen Italia: Die Asche sorgt für fruchtbaren Boden, und er ist immer warm.«
    Walther hatte von Vulkanen gehört, vor allem in Salerno, denn von Rom kommend, lange vor Neapel, konnte man den Vesuv sehen, aber der hatte nie solche rauchigen Zeichen von sich gegeben oder gar noch Feuer gespuckt. »Habt Ihr schon einmal einen Vulkanausbruch erlebt?«
    Herr Gugliemo lachte. »So etwas erlebt man nicht. Entweder man hat Glück und ist weit entfernt, oder man stirbt, Herr Walther.«
    »Wie meistens im Leben.«
    Einmal machten sie eine Rast, damit jeder sich erleichtern konnte. Statt wie alle anderen an den Straßenrand zu pinkeln, verschwand Gugliemo hinter einem Gebüsch. Einer seiner Knappen grinste und erzählte mit gesenkter Stimme, der Herr wolle verbergen, dass er sich aus Freundschaft zu seinem jüdischen Arzt von diesem hatte beschneiden lassen.
    »Also, ich hatte nicht den Eindruck, dass es dem Magister darum zu tun war, das Glied unseres Herrn kürzer zu machen«, antwortete der andere Knappe mit einer Grimasse und schwieg hastig, als Gugliemo sich wieder zu ihnen gesellte. Walther begriff, was es mit Meirs Verlegenheit und seinem Bestehen

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