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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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werden, zumal die beiden entfernt miteinander verwandt waren, so dass Otto, um eine Dispensation vom Papst zu erhalten, zwei Klöster hatte stiften müssen. Wenn Otto erst mit der Kirche aneinandergeriet, dann konnte sich vielleicht die Gelegenheit ergeben, mit Beatrix von seinem Hof zu fliehen und ihre Ehe auflösen zu lassen. Deswegen erfüllten sie die ersten Anzeichen, dass ihr Schützling der Kindheit nun auch körperlich entfloh, ganz und gar nicht mit Freude. Solange Otto in Italien weilte, so lange spielte es keine Rolle, aber niemand konnte sagen, wie lange er bleiben würde. Wenn Beatrix erst ihre erste Blutung hinter sich hatte, dann würde es keinen Aufschub zum Vollzug der Ehe mehr geben.
    »Theophanu war so alt wie ich, als sie heiratete, nicht wahr?«, fragte Beatrix, als sie Judith durch Speyer begleitete, zwei Wachposten mit den welfischen Farben hinter sich.
    »So gut kenne ich die Fakten unserer Geschichte nicht, Euer Gnaden.«
    »Nun, ich bekam Unterricht in ihr, als meine Eltern noch lebten. Könnt Ihr nicht den Kanzler überzeugen, Magistra, dass meine Stunden fortgesetzt werden?«
    Der Bischof von Speyer hatte die Meinung ausgedrückt, dass nur eine Nonne mit mehr Wissen, als Beatrix ohnehin schon besaß, etwas anfangen konnte. Da Beatrix ihre Erfüllung als Frau und Mutter finden würde, sei es nicht nötig, ihr weiterhin Unterricht in anderen Dingen als höfischem Betragen und der Führung eines Haushalts zu geben. Ihren Namen schreiben zu können, genüge für eine Frau. Dass Beatrix daraufhin auf das Beispiel ihrer Leibärztin hinwies, hatte ihn nicht beeindruckt: »Die Schule von Salerno mag es Frauen weltlichen Standes gestatten, zu studieren, aber für die Dummheiten in fremden Ländern sind wir hier nicht verantwortlich.« Das war die Meinung des Mannes, als Bischof wie als Kanzler.
    »Ich glaube nicht, dass er auch nur den geringsten Wert auf meine Meinung legt, Euer Gnaden. Seid Ihr nicht auch früher manchmal fortgelaufen, wenn Euer Unterricht Euch zu lang wurde, weil Ihr lieber Lieder hören wolltet?«
    »Das war etwas anderes«, erwiderte Beatrix unerwartet heftig. »Ganz anders. Wenn man Euch verboten hätte zu studieren, was hättet Ihr dann getan?«
    Das hätte sehr leicht geschehen können. Judith war sich jetzt noch nicht sicher, ob ihr Vater sie ausgebildet und zu seiner Nachfolgerin herangezogen hätte, wenn ihre Brüder überlebt hätten, ganz zu schweigen davon, dass er dann nicht mit ihr nach Salerno gegangen wäre. Sie stellte sich vor, nie mehr über das Heilen des menschlichen Körpers gewusst zu haben, als die Art, wie man Verbände auflegte, die ihr auch ihre Mutter hätte zeigen können, und schauderte.
    »Ich wäre erstickt«, sagte sie. »Aber ich liebe die Medizin, Euer Gnaden. Seid Ihr sicher, dass Ihr die Geschichte liebt?«
    Beatrix wand eine ihrer dunklen Locken um den Zeigefinger. Sie war zwar verheiratet, aber noch so jung, dass man ihr gestattete, ihr Haar offen zu tragen.
    »Ich bin die Kaiserin«, sagte sie sehr ernst. »Das ist der Platz, auf den Gott mich gestellt hat. Es muss doch einen Sinn gehabt haben, Magistra, dass er mir meine Eltern genommen hat, das muss es einfach, und der einzige Sinn, den ich erkennen kann, ist der, eine gute Kaiserin zu sein! Und dazu muss ich mehr wissen als nur, wie man Kinder zur Welt bringt.«
    Judith musste einen Kloß in ihrer Kehle hinunterschlucken, aber sie war nicht versucht, Beatrix etwas von ihren Plänen anzuvertrauen. Es gab nicht mehr viele Menschen, bei denen sie bereit war, zu vertrauen. Das hatte nichts mit Zuneigung zu tun; sie hatte einen Kreis um sich gezogen, und der größte Teil der Welt befand sich außerhalb. Walther wäre vielleicht auch dort gewesen, wenn sie eine Wahl gehabt hätte, doch sie war zu sehr mit ihm verwachsen. Als er sie an jenem Morgen fand, hatte sie befürchtet, in seinen Augen Verachtung zu lesen, und das hätte ihr den Rest gegeben. Sie konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie sehr viele der geschändeten Frauen in Salerno von ihren Männern behandelt worden waren. »Wer will schon in einen beschädigten Topf pinkeln«, hatte einer zu Judith gesagt.
    Aber alles, was sie in Walthers Augen las, war Liebe, und dann, im Gemach der Markgräfin, Bewunderung und Achtung. Die ganze Nacht über hatte sie die Zähne zusammengebissen und versucht, ihren Verstand von ihrem Körper zu trennen; sie hatte an alle möglichen Arten gedacht, sich an Otto zu rächen, aber es war nie ohne ein

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