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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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entleert war, denn ihm wurde sehr mulmig zumute; der alte Kaiser Heinrich und so mancher Deutsche waren am sizilianischen Sumpffieber gestorben.
    Immerhin war er nur für sich selbst verantwortlich; seinem Knappen hatte er eine Stellung beim Patriarchen Wolfger verschafft, weil er keinen Mitwisser für sein Tun gebrauchen konnte. Das bedeutete allerdings auch, dass er jetzt selbst einen Führer finden musste, denn der König, so erklärte man ihm, halte sich der Seuche wegen nicht im Palazzo dei Normanni auf, sondern in Catania. Und das befand sich am anderen Ende der verwünschten Insel! Walther hatte die Wahl, einen Fischer zu bezahlen, ihn auf sein Boot zu lassen, oder einen Führer anzuheuern, der ihn durch die Berge brachte, die angeblich noch voller Sarazenen steckten. Das eigentliche Problem lag wohl darin, jemanden zu finden, dem er vertrauen konnte. Bei Menschen, die seine eigene Sprache sprachen, kannte Walther sich aus; war mit den kleinen Zeichen vertraut, die Betonung und Körper dem reinen Wortlaut hinzufügten. Aber die Abart einer Sprache, welche er ohnehin nie in ihren Tiefen ausgelotet hatte, machte ihn hilflos.
    Zum Glück ließ ihn aber sein Verstand nicht im Stich. Es gab eine Seuche. Wo wurden Ärzte ausgebildet? Nun, in der Schule, die Palermo am nächsten lag: Salerno. Mit etwas Glück fand er einen Studienkollegen von Judith. Mit einem solchen Verbündeten ließ sich gewiss auch eine sichere Möglichkeit finden, nach Catania zu kommen. Außerdem konnte es nicht schaden, sich mit Arzneien auszurüsten.
    Die aragonesischen Ritter, so stellte sich heraus, waren im Königspalast untergebracht, weil ihr Anführer der Bruder der neuen Königin war; so hörte Walther zum ersten Mal, dass Friedrich bereits verheiratet war.
    Als er vor den Palastpforten stand, gab es dort keine Wachen – um die Ritter konnte es nicht gut bestellt sein. Stattdessen sah er, wie ein paar vermummte Gestalten Leichen hinaustrugen. Sie verstanden Walthers Frage nach einem Arzt, und so kam er an Wasserbrunnen und Gärten vorbei in den Innenhof, wo auf dem Boden mehr als hundert kranke Männer lagen und stöhnten. Dazwischen knieten oder gingen mehrere Gestalten in Ärzteroben. Einige trugen einen Turban, alle hatten ihr Gesicht verschleiert. Als einer von ihnen Walther erblickte, schrie er ihn an, ohne dass Walther ein Wort verstand.
    »Ist hier jemand«, fragte er so laut und so klar wie möglich in der Volgare, »der die Medizin in Salerno studiert hat?« Drei der Männer beachteten ihn nicht, sondern kümmerten sich weiter um die Kranken; zwei schauten auf. »Kennt einer der Herren die Magistra Judith, Tochter von Josef, oder ihren Vater?«
    Jetzt kam einer der Ärzte zu ihm herüber. »Wer will das wissen?«, fragte er misstrauisch.
    »Ihr Gatte«, entgegnete Walther, weil alles andere zu schwer zu erklären war. Der Mann in dem dunklen Gewand nahm den Schleier, den er sich vor den Mund gebunden hatte, herunter.
    »Dann wird sie wohl bald Witwe werden«, sagte er in einem zwar mit starkem Akzent behafteten, aber verständlichen Deutsch, »wenn ihr Gemahl ein solcher Narr ist, mitten in ein Haus voller Sterbender zu laufen.«
    »Tun Ärzte das nicht ständig? Das Leben mit ihr hat mich eben beeinflusst«, gab Walther leichthin zurück. »Euer Deutsch ist hervorragend, Magister. Ich habe nicht damit gerechnet, hier Menschen zu begegnen, die meiner Sprache mächtig sind, und so kann ich nicht anders, als in Euch ein gutes Omen für mein Vorhaben zu sehen.«
    »Deutsch war bis vor kurzem noch offizielle Hofsprache«, entgegnete der Mann unwirsch. »Es gibt viele, die es beherrschen, aber die meisten tun lieber so, als ob sie nicht dazu in der Lage sind. Eure edlen Herren haben Euch Tedesci nicht beliebter gemacht auf dieser Insel.«
    Walther schluckte eine Bemerkung hinunter, obwohl er sich dachte, dass die Leute in Neapel und auf dem Handelsschiff mehr von sizilianischen Räubern, nicht von deutschen gesprochen hatten.
    »Geht es Eurer Gemahlin gut?«, fragte der Mann. »Ist sie hier? Wir könnten jemanden mit ihrer Kunst gut gebrauchen. Meine Stärke waren Seuchen nie, ich kenne mich besser mit Augen aus, aber hier ist jeder Arzt gefragt.«
    »Leider bin ich allein.« Etwas zupfte an Walthers Erinnerung: Arzt, Augen … »Verzeiht, aber seid Ihr etwa Meir ben Eleasar?«
    »Das bin ich«, bestätigte der Mann erstaunt. »Hat sie von mir gesprochen?«
    »Sie hat oft Eure Kunstfertigkeit im Starstich gerühmt«, bestätigte

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