Das Spiel der Nachtigall
Gefühl der Ohnmacht und in dem Bewusstsein geschehen, dass es Hirngespinste waren. Erst Walther hatte ihr das Bewusstsein zurückgegeben, dass sie immer noch Judith war, die Tochter Jakobs, Ärztin von Salerno und Nichte Stefans, denn sie machte sich nichts vor: Der Vorstellung, die Geschichte des Reiches zu beeinflussen und Könige zu machen, war sie zuerst bei ihm begegnet. Stefan hatte am Ende den König bekommen, den er gewollt hatte, und bewiesen, dass es möglich war. Aber sie durfte keinen Fehler mehr machen, nicht einen, und es war so leicht, wenn man Menschen an sich heranließ und ihnen vertraute. Wenn sie Walther hätte ausschließen können, dann hätte sie es getan. Stattdessen fand sie sich damit ab, dass es ihr unmöglich war, und gestand sich ein, dass sie ihn liebte und nie damit aufgehört hatte.
Ja, Beatrix liebte sie ebenfalls, und doch war es möglich, der jungen Kaiserin nur zu zeigen, was sie sehen sollte: eine weise, zuverlässige Lehrerin. Ganz bestimmt nicht die Judith, die mittlerweile mehr Schatten in sich barg als Licht.
»Unterschätzt nicht, was man lernen muss, um Kinder auf die Welt zu bringen«, entgegnete sie daher und lenkte Beatrix’ Aufmerksamkeit auf ein anderes Gebiet. »Es dauert Jahre, bis es einem gestattet wird, und meiner Meinung nach gibt es immer noch zu wenige schriftliche Studien darüber. Ich hatte Glück, auf Trotas Werk zu stoßen, sonst hätte ich nicht gewusst, wie man mit einem Dammriss bei den Wehen umgeht.«
»Was ist ein Dammriss?« Judith erklärte es ihr. Am Ende war Beatrix ein wenig blass um die Nase und fragte stockend, ob es das war, was ihrer Mutter den Tod gebracht hatte.
»Nein«, entgegnete Judith bestürzt und versuchte, die richtigen Worte zu finden. Am Ende blieb ihr nichts als die dürre medizinische Erklärung einer Fehlgeburt, ahnend, wie ungenügend diese Irenes Tochter vorkommen musste. Dann sagte Beatrix zu ihrer Überraschung: »Ich werde selbst einmal Kinder zur Welt bringen. Also will ich von Euch alles über Geburten lernen. Und auch über das Heilen von Krankheiten. Ich will bei Euch in die Lehre gehen. Eure Gegenwart ist mir schließlich nicht verboten.«
Es war schwer, den Wall aufrechtzuerhalten, wenn er durch eine heiße Welle der Zuneigung unterwandert wurde. »Es hat bisher keine Kaiserinnen gegeben, die Ärztinnen waren, Euer Gnaden, aber wenn Ihr tatsächlich die erste werden wollt, dann werde ich Euch dazu verhelfen.«
* * *
Walther war während Judiths Aufenthalt in Salerno zu den verschiedensten Orten des Königreiches Sizilien gereist, das sich immerhin bis hin zum Patrimonium Petri erstreckte, doch auf die Insel hatten ihn seine Wege nie geführt. Das Geld Diepolds von Schweinspeunt war mehr als genug, um eine Überfahrt von Neapel nach Palermo zu bezahlen, was sein Leben erheblich vereinfachte und bequemer machte, als bis nach Reggio zu reiten und von dort aus überzusetzen. Womit er nicht gerechnet hatte, waren die teilweise sehr hohen Wellen. Walther war deutsche Flüsse gewohnt, doch die Strecke war keine Küstenschifffahrt, sondern eine Durchquerung des Meeres, wie er es noch nicht erlebt hatte. Es wurde ihm bald speiübel, und das war bereits, ehe man ihm erzählte, dass die Küstenbewohner Siziliens sich darauf verstanden, harmlose Schiffe mit falschen Leuchtfeuern ins Verderben zu locken, um sie so auszurauben.
»Alles Räuber, diese Sizilianer«, sagte einer seiner Mitreisenden, ein Viehhändler, so genüsslich, als freue er sich schon auf den Kampf.
Nach drei Tagen lief das Schiff dann doch sicher in den Hafen von Palermo ein. Walthers Knie waren trotzdem weich, sein Magen entleert. Dergleichen geschah Boten in Heldenliedern nie. Der Anblick, der sich ihm bot, half immerhin, ihn abzulenken: So hatte er sich Byzanz vorgestellt, vielleicht sogar Jerusalem. Immer wieder ragten Halbkugeln als Kuppeln zwischen den Dächern hervor, leuchteten rot aus Palmengärten, wie überhaupt viel Grün zwischen den würfelförmigen Häusern zu finden war. Selbst die Zinnen der langgestreckten Kathedrale waren fremdartig.
Die Straßen waren leer. Soweit sich das dem Kauderwelsch der wenigen ansprechbaren Leute entnehmen ließ, das so gar nicht wie die Volgare klang, war eine Seuche ausgebrochen, an der bereits mehrere aragonesische Ritter gestorben wären. Was diese in Sizilien taten, wusste Walther nicht und wollte es eigentlich auch gar nicht wissen. Vielleicht war es Glück, dass sein Magen bereits so gründlich
Weitere Kostenlose Bücher