Das Spiel der Nachtigall
wider Willen von der Keckheit des Jungen beeindruckt.
»Du weißt es also besser als Aristoteles, wie?«
»In manchen Dingen«, gab der Junge zurück. »Ich glaube nur, was ich selbst nachweisen kann. Und Ihr?«
»Ich fände es langweilig, nicht auch an Dinge zu glauben, von denen ich nicht die geringste Ahnung habe und die ich nie sehen werde«, sagte Walther, der sich mittlerweile sehr gut unterhielt. »Wie Drachen oder den Stein der Weisen. Oder Tarnkappen, die unsichtbar machen. All das werde ich mit Sicherheit nie zu sehen bekommen, aber in Liedern machen sie sich vorzüglich.«
»So wie sie beschrieben werden, haben Drachen das falsche Verhältnis von Körpergewicht und Flügelspanne, um sich überhaupt in die Lüfte erheben zu können«, sagte der Junge sachlich. »Was Tarnkappen betrifft, denke ich, dass man mit der richtigen Kleidung sehr unauffällig sein kann. Vielleicht gibt es auch Metall, welches das Licht so reflektiert, dass man nichts dahinter sieht, aber noch ist es nicht erfunden worden.«
»Ah, aber wenn es bereits erfunden wäre, dann würdest du es ja weder wissen noch sehen können «, sagte Walther mit einem Augenzwinkern.
Der Junge lachte. Dann sagte er ungeduldig zu Gugliemo: »Um Himmels willen, Mann, hört endlich mit dem Husten auf. Wenn Ihr so weitermacht, dann glaubt meine Königin noch, dass Ihr die Seuche hierher mitgebracht hättet.«
Abrupt verstummte der Ritter. Erst da begriff Walther, dass der Junge in der Abenddämmerung zwar wirkte, als habe er braune Haare, aber wenn man ihn genauer betrachtete, dann lag ein rötlicher Schimmer darauf, und es mochte sehr wohl sein, dass die kurzen Locken im vollen Glanz der Sonne rot waren. Stauferrot.
Zu seiner Verteidigung sagte Walther sich, dass der Junge für sein Alter kleingewachsen war; er hätte ihn eher auf dreizehn als auf bald fünfzehn geschätzt. Außerdem hatte er zwar keine bestimmte Vorstellung von Philipps Neffen gehabt, aber Vogelstimmen nachzuahmen und eine Debatte über die Glaubwürdigkeit von Aristoteles’ Naturkunde vom Zaun zu brechen, gehörte nicht dazu.
»Euer Gnaden«, sagte Gugliemo purpurrot und rutschte vom Pferd, um niederzuknien. Walther und die beiden Knappen taten es ihm nach. Friedrich bedeutete ihnen, sich zu erheben, doch er wartete damit, bis sie tatsächlich alle knieten.
»Ich würde mutmaßen, dass Ihr mir eine Botschaft des Herrn von Schweinspeunt bringt«, sagte Friedrich zu Gugliemo, »zumal er« – mit dem Kinn wies er auf Walther – »ein Deutscher ist, aber seine Boten leiden gewöhnlich an einem großen Mangel an Phantasie und Witz und beginnen sofort damit, mir gegenüber die großen Verdienste ihres Herrn um das Königreich Sizilien zu erläutern, doch das erscheint mir bei diesem Freund der Nachtigallen eher unwahrscheinlich.«
»Wenn Ihr Nachricht über den Herrn von Schweinspeunt sucht«, sagte Walther auf Deutsch, »dann kann ich Euch durchaus eine wichtige bringen.«
»Bis auf den Namen habe ich kein Wort verstanden«, entgegnete Friedrich auf Latein. »Ich spreche kein Deutsch, Herr Nachtigall.« Nach dem, was Meir über Deutsch als Amtssprache in Sizilien gesagt hatte, bezweifelte Walther das, doch es gab keine Möglichkeit, dergleichen laut auszusprechen, ohne den König einen Lügner zu nennen, was Könige keines Alters jemals gerne hörten. Es kam ihm in den Sinn, dass Friedrichs Erfahrung mit Deutschen sich bisher wohl auf Schweinspeunt und dessen Helfershelfer beschränkte, welche die Zeit seiner Minderjährigkeit ausgenutzt hatten, um sich so weit wie möglich an Sizilien zu bereichern. Gewiss, nominell war der Papst sein Vormund gewesen, aber Walther vermutete, dass dieser nie mehr getan hatte, als Lehrer aus Rom zu schicken, die gewiss auch nichts Gutes über die Deutschen erzählten. Schließlich wollte der Papst das Königreich Sizilien und das Reich getrennt halten, und jedem Gefühl von Zugehörigkeit bei Friedrich entgegenzusteuern, wäre in seinem Interesse gelegen.
Das waren keine guten Aussichten. Allmächtiger, dachte Walther. Erst Otto, der in der Normandie und in England aufgewachsen ist, und als einzig andere Möglichkeit ein Junge, der noch nicht einmal die Sprache seiner Untertanen beherrscht. Kann es wirklich eine Wendung zum Besseren geben, ihn statt Otto auf den Thron zu bringen?
Andererseits war der Junge, so weit hatte schon ihr kurzer Wortwechsel klargemacht, alles andere als dumm. Nur zu glauben, was er nachweisen konnte, war für einen
Weitere Kostenlose Bücher