Das Spiel der Nachtigall
kindlich, als sie Judith musterte. »Ich habe mir die Fürsten nennen lassen, die in Nürnberg für meinen Vetter Friedrich gestimmt haben. Und wisset, jeder Einzelne von ihnen gehörte zu denen, die ich auf meinem Kaiserinnenritt besucht habe.«
Judith wusste nicht, ob sie stolz auf den Verstand des Mädchens war oder beunruhigt und beschämt, weil es nun für Beatrix offenkundig sein musste, was da hinter ihrem Rücken vor sich gegangen war. Leugnen war sinnlos.
»So ist es, Euer Gnaden.«
»Ihr hättet es mir sagen sollen«, meinte Beatrix leise.
»Dann hätte ich Euch dazu ermutigt, Euren Gemahl und Euren Vormund zu hintergehen, und Ihr hättet sie entweder wissentlich belügen müssen, oder ich wäre aller Möglichkeit beraubt gewesen, das in die Wege zu leiten, was nun eingetreten ist.«
»Stattdessen«, gab das Mädchen heftig zurück, »habt Ihr mich behandelt wie ein dummes Kind. Ihr habt mich ausgenutzt.«
Es tat weh, das zuzugeben, doch es war der Preis, den man für Unwahrhaftigkeit bezahlen musste, das wusste sie nur zu gut aus eigener Erfahrung. »Ja«, sagte Judith und versuchte nicht, sich weiter zu rechtfertigen. Zu verharmlosen, was sie getan hatte, hieße Beatrix’ Verstand zu beleidigen. Wenn das Mädchen klug genug war, sie zu durchschauen, dann war sie auch klug genug, um die Gründe für ihr Verhalten zu begreifen.
»Ich dachte, Ihr liebt mich«, sagte Beatrix. Ihre Lippen zitterten. »Ich dachte … Nun, das war dumm von mir. Ihr habt Euch nur rächen wollen, nicht wahr? Deswegen seid Ihr bei mir geblieben. An mir hat Euch nie etwas gelegen.«
»Ich bin bei Euch geblieben, weil Ihr mir am Herzen liegt und weil ich es Eurer Mutter versprochen habe«, sagte Judith bestürzt. Es kostete sie einiges an Überwindung, aber sie war bereit, sich und auch Beatrix zu gestehen, dass sie eine Tochter für sie geworden war. Sie würde nie eigene Kinder haben, jetzt nicht mehr. Es war töricht, so für ein Fürstenkind zu empfinden; aber Beatrix, die schon immer Walthers Liebe zum Wort geteilt hatte und in den letzten Jahren auch Judiths zur Heilkunst, Beatrix, die Irenes Stolz, Mut und Lebhaftigkeit besaß, Beatrix war in allem das Kind, das sie nie haben würde. Judith öffnete den Mund, um das auszusprechen, doch Beatrix kam ihr zuvor.
»Nein. Ihr fühlt Euch schuldig, weil Ihr meine Mutter habt sterben lassen. Ihr hättet sie retten können, aber Ihr habt sie sterben lassen, so ist es doch! Lediglich das wolltet Ihr wiedergutmachen, deswegen seid Ihr zuerst bei mir geblieben, und dann war es nur noch die Rache an meinem Gemahl, die Euch bei mir gehalten hat! Aber Ihr könnt überhaupt nichts wiedergutmachen. Ihr habt mir meine Mutter genommen, nicht nur einmal, sondern zweimal!«
Jedes Wort war wie ein Schlag ins Gesicht. Sie meint es nicht so, versuchte Judith sich zu sagen, sie ist nur verletzt und wütend, weil ich sie belogen habe, und so jung, da muss sie sich rächen. Aber dergleichen verstandesgemäße Argumente halfen ihr nicht gegen das Gefühl, für ihre Lügen in Fetzen gerissen zu werden.
»Beatrix«, begann Judith, zu entsetzt, um noch auf den Rang des Mädchens zu achten.
»Wir wollen Euch nie wiedersehen, Magistra«, sagte die junge Kaiserin eisig. »Seid unbesorgt, Wir werden Euch nicht an Unseren Gemahl verraten, aber Wir wollen nicht, dass Ihr noch länger Unser Auge mit Eurer Gegenwart beleidigt. Nie wieder.«
Wenn Walther in Speyer gewesen wäre, hätte er wohl versucht, mit Beatrix zu sprechen, doch er befand sich in Wien, um einen möglichen Platz dort vorzubereiten, wenn Otto erst wieder im Lande war. Leopold von Österreich war nicht nur der Enkel einer Byzantinerin, sondern seit ein paar Jahren auch mit einer verheiratet, Irenes Base Theodora. Damit war es nicht unmöglich, dass er Beatrix im Fall einer Annullierung ihrer Ehe an seinem Hof aufnehmen würde, und er war reich und mächtig genug, dass Otto es sich nicht leisten konnte, ihn zu befehden, nicht, wenn er ohnehin genügend andere Sorgen hatte. Überdies hatten die Herzöge von Österreich nie mit den Welfen Freundschaft gehalten; Leopold schuldete Otto nicht das Geringste und war nur sein Verbündeter, solange Otto mit der letzten Stauferin verheiratet war. Wien war Walther und Judith daher als der beste Ort erschienen, um ihn Beatrix als neue Heimat vorzuschlagen, bis ihr Vetter, so Gott wollte, als nächster Herrscher fest im Sattel saß. Und auch, falls der junge Friedrich scheiterte.
Walther
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