Das Spiel der Nachtigall
und Zorn. »Warst du es?«, fragte er heftig. »Die Wahl in Nürnberg? Ich hätte es wissen müssen. Ich selbst hätte es nicht besser machen können. Nun beginnt der Krieg von neuem, König wider König. Sag mir, Nichte, ist es das wert?«
Anders als bei Beatrix’ Vorwürfen, die ihr die Kehle zugeschnürt hatten, gab ihr sein Zorn die Freiheit, zu atmen.
»Der Krieg hat nie aufgehört, Onkel. Ein Mann an der Macht, der Unrecht im Blut hat, braucht keine Schlachtfelder, um Krieg zu führen. Er führt ihn gegen seine eigenen Untertanen, wenn er ihn nicht gegen Fremde führt, nur ist es ein Krieg, den ihr Männer nur allzu leicht überseht und entschuldigt. Aber frag die Frau des Bürgermeisters von Goslar. Frag die geprügelten Diener in jeder Residenz. Frag die Töchter von Breisach. Frag mich! Und frag all die Menschen südlich der Alpen, die nicht deine Sprache sprechen und deren Städte gerade ein weiteres Mal verwüstet wurden. Es war kein Frieden, den dein Kaiser brachte, nicht für eine Stunde seiner Herrschaft, und ihm ein Ende zu machen, das ist Gerechtigkeit.«
»Wir werden sehen, ob du mit deiner Antwort leben kannst«, sagte Stefan. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, so leicht und kurz, dass sie sich nicht die Mühe zu machen brauchte, sie abzuschütteln, ehe er sie wieder zurückzog und sich zum Gehen wandte. »So wie ich mit der meinen.«
* * *
Es war Anselm von Justingen, der die Gesandtschaft der deutschen Fürsten anführte, die Friedrich von Hohenstaufen die Krone anbieten sollte. Da sie über Wien reiste, fragte Walther ihn kurzerhand, ob er mitkommen könne.
»Ihr seid die Zunge des Reiches, Herr Walther. Gewiss, Ihr habt bisher für Otto gesungen, aber es müsste doch möglich sein, dass Ihr ein anderes Lied singt, ein besseres Lied«, sagte Justingen und stürzte sich in eine Aufzählung von Gründen, die für Friedrich und gegen Otto sprachen. »Und schließlich«, gestand er, »macht es sich einfach besser, wenn wir dem König sagen können, dass sein Volk nach ihm ruft, nicht nur die Fürsten, und ihm den Beweis gleich mitbringen.«
»Da Ihr ihn auffordern wollt, ein sicheres Königreich für einen Thron aufzugeben, auf dem derzeit noch ein anderer mit vielen Waffen und reichlich Geld sitzt, kann ich verstehen, warum Ihr noch mehr Überzeugungskraft braucht«, gab Walther unschuldig zurück. »Wie viel ist Euch die Stimme des Volkes denn wert?«
Es war ein Glück, dass Anselm von Justingen keine Ahnung von Walthers wirklichen Überzeugungen hatte, sonst wäre der Preis, zu dem er sich bequemte, erheblich geringer ausgefallen. Am Ende klopfte ihm Walther zufrieden auf den Rücken. Selbst, wenn man die Summe abzog, die er einem Boten nach Speyer würde bezahlen müssen, um Judith davon zu unterrichten, sie könne mit Beatrix, wenn nötig, nach Wien kommen, blieb noch genügend übrig, um ihn für ein halbes Jahr über die Runden zu bringen.
»Ich folge Euch mit Freuden, Herr Anselm.«
* * *
Judith gelang es, sich in einem der Hospize als Ärztin für Reisende und Bettler zu verdingen, was es ihr ermöglichte, in Köln zu leben, bis sie von Beatrix oder Walther hörte. Es tat gut, sich wieder um Patienten kümmern zu müssen, mit denen sie nichts verband als deren Krankheiten. Sie legte Verbände an, trug Salben auf, verabreichte Tränke; hin und wieder nahm sie sogar Eingriffe vor, wenn die Patienten wagemutig genug waren, um sie von einer Frau durchführen zu lassen, doch niemals empfand sie mehr dafür als die Befriedigung über eine gelungene Ausübung ihres Berufes. Dabei versuchten die Menschen durchaus, sie öfter in Gespräche einzubeziehen, die nichts mit ihren Krankheiten zu tun hatten.
»Hört, Frau Judith, was haltet Ihr von dem jungen Nikolaus?« Es war eigenartig, von allen wieder mit ihrem Namen in seiner wahren Form angesprochen zu werden, aber es war ein Entschluss gewesen, den sie gefällt hatte, als sie in Köln eintraf und sich bei der Stadtwache ausweisen musste.
»Er sollte lieber Schreiben und Lesen lernen, als sich im Predigen zu üben«, entgegnete sie. Der Junge, von dem die Rede war, tauchte in Köln seit ein paar Wochen an allen Ecken und Enden auf und machte die Prediger in den Kirchen nach, die zum Kreuzzug aufriefen, nur dass er die Ansicht vertrat, nur sündenlose Kinder könnten das Heilige Land befreien. Es war das Unsinnigste, was Judith je gehört hatte, doch das behielt sie für sich.
»Ich frage mich, was der Kaiser dazu sagen wird.
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