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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nachzureisen, war keine Lösung, denn dabei konnten sie einander leicht verfehlen, wenn er bereits auf dem Rückweg war. Überdies wollte Judith sich nicht zu weit von Speyer entfernen. Sie hoffte, dass Beatrix nur etwas Zeit brauchte, um sich zu beruhigen, und dann willens war, sie anzuhören. Außerdem war ihr Versprechen an Irene nicht mit einem Streit zu Ende. Wenn sie allerdings daran dachte, wie lange sie selbst gebraucht hatte, um Walther zu verzeihen oder auch nur wieder bereit zu sein, mit ihren Verwandten zu sprechen, dann hatte Judith wenig Hoffnung, dass es mit Beatrix’ Zorn und Verletzung schnell vorbei sein würde.
    Jedes Wort des Mädchens hallte in ihrem Kopf wider. Aber versteh doch, argumentierte Judith stumm , es ging nicht nur um Rache, nicht nur das, was er mir angetan hatte, sondern um das, was er noch tun könnte, dir und Menschen im Reich, bei der Macht, die er nun hat!
    Sie schaute in den Bronzespiegel, der zu ihren Instrumenten als Ärztin gehörte, und kam sich wie die schlimmste Heuchlerin vor, denn sie wusste sehr wohl, dass die Sorge um alle anderen Menschen nicht genügt hätte, um sie vor Würzburg zum Handeln gegen Otto zu treiben. Eine einzige Nacht hatte alles verändert. Am Ende war sie nicht besser als Stefan, vielleicht sogar schlechter, denn der hatte nie aus eigener Verletzung heraus gehandelt.
    Dieser Gedanke war es, der sie zu einer Entscheidung kommen ließ. Sie beschloss, nach Köln zu gehen, und schärfte Lucia ein, ihr umgehend einen Boten zu senden, wenn Beatrix bereit war, wieder mit ihr zu sprechen. Köln lag nahe genug, dass sie innerhalb weniger Tage nach Speyer zurückkehren konnte; außerdem gab es dort einiges, was sie zu tun hatte.
    »Am Ende ist es vielleicht besser, wenn Ihr wegbleibt«, sagte Lucia. »Ich habe Euch gern, Magistra, das wisst Ihr. Aber die Imperatrice und ihre Schwestern, die sind wie meine Kinder.«
    »Ich liebe sie ebenfalls«, sagte Judith mit tauben Lippen.
    »Ja«, sagte Lucia und tippte ihr mit dem Finger auf die Stirn, »aber das, was da drin vorgeht, das ist immer wichtiger für Euch. Wie ein Mühlenrad ist Euer Verstand, immer zwei, drei Drehungen voraus, und Ihr hört immer mehr auf ihn als auf Euer Herz. Das ist nicht gut, wenn man ein Kind hat.« Sie seufzte. »Aber ich will Euch einen Boten senden, wenn sie ihre Meinung ändert, das verspreche ich.«
    Judith nannte Lucia das Hospital, in dem sie zu erreichen sein würde, und schiffte sich dann nach Köln ein.
    Ihre Vaterstadt und das Umland waren dabei, sich von den Wunden der letzten Kriege zu erholen; man merkte, dass seit Jahren keine Belagerung und keine Verwüstung mehr stattgefunden hatten. Diesmal war niemand bei ihr, den sie als Lockvogel zu Stefan schicken konnte, also drückte sie einem der Knechte seines Hauses eine Botschaft in die Hand und wartete am Grab ihrer Mutter auf dem jüdischen Friedhof. Sie hatte bereits den Stein, den sie aus Salerno mitgebracht hatte, hingelegt und die Gebete gesprochen, als Stefan auftauchte.
    »Lass mich raten«, sagte er. »Du trägst Verrat im Herzen, und das bringt dich zu mir.«
    »Ich trage Versöhnung im Herzen, und vielleicht gilt das Gleiche für dich«, entgegnete sie. »Oder nur die Kehrseite dieser Münze.«
    Ihr Onkel musterte sie. »Es ist kein Fürsprecher, den du diesmal brauchst«, stellte er fest. »Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, du brauchtest Absolution, aber im Gegensatz zu mir hast du nie die Taufe empfangen, die das möglich macht.«
    »Glaubst du denn wirklich, dass ein christlicher Priester die Macht hat, dir zu vergeben?«, fragte Judith überrascht, denn sie hatte sein Christentum nie als mehr als eine Tünche gesehen.
    »Ich glaube, dass wir alle jemanden brauchen, der uns vergibt«, entgegnete Stefan. »Und wenn Gott ein paar Münder benutzt, die ihre Berufung darin sehen, zu vergeben, wer bin ich, um diese Gabe zurückzuweisen, da ich doch ohnehin Abgaben an sie bezahle? Das ist ein guter Handel.«
    »Du würdest nicht mit mir sprechen, wenn du glaubtest, dass sie dir vergeben könnten. Dabei möchte man meinen, dass alles gut für dich steht und liegt. Du hast den Kaiser, den du wolltest, Onkel, und die Vorteile für Köln. Sag mir – und ich frage das ohne Hohn oder Bitterkeit –, war es das alles wert?«
    Zunächst schwieg er und legte selbst einen Stein auf das Grab ihrer Mutter. Dann drehte er sich ruckartig zu ihr um. Auf seinem Gesicht zeigte sich eine eigenartige Mischung aus Stolz

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