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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nicht der einzige gewählte deutsche König. Der Mann, auf den das länger zutrifft, ist das ehemalige Mündel des Heiligen Vaters«, sagte Walther, alles auf diesen einen Wurf setzend. Damit hatte er zugegeben, dass seine öffentliche Parteinahme für Otto nichts als Trug war. Wolfger erhielt so die Möglichkeit, ihn aller kaiserlichen Unterstützung und schlechtestenfalls seines Lebens zu berauben.
    »Sein Mündel«, bestätigte Wolfger, ohne sich Zustimmung oder Ablehnung anmerken zu lassen, »aber auch ein Staufer.«
    »Sein Mündel, das von keinem anderen Staufer erzogen wurde, sondern aufwuchs mit Lehrern, die von Seiner Heiligkeit bestimmt waren. Sein Mündel, das Seiner Heiligkeit alles verdanken würde und dem ein Kind geboren ist. Wenn der Papst die Kronen von Sizilien und dem Heiligen Römischen Reich nicht auf demselben Haupt sehen will, dann gibt es ein Vorbild dafür, eine davon an das Kind weiterzugeben«, sagte Walther mit aller Überzeugungskraft, zu der er imstande war. »Ihr wisst, was ich für den Papst empfinde, und ich tue es gerade deswegen, weil er der machtbesessenste seit Menschengedenken ist. Wenn Herr Otto Kaiser des Heiligen Römischen Reiches bleibt und seine Eroberung des Königreichs Sizilien erfolgreich beendet, dann wird Seine Heiligkeit nicht als mächtigster der Päpste in die Geschichte eingehen, sondern – mit und ohne Verlaub – als ein Dummkopf, der sich von einem Welfen hat übertölpeln lassen. Meinem eigenen Groll würde der Gedanke große Befriedigung bereiten, doch der Teil von mir, der über mich selbst hinausdenkt und sich fragt, ob Herr Otto sich wirklich als der Mann bewiesen hat, den ich als den mächtigsten des Erdkreises sehen will, der Teil schaudert.«
    Drei steile Falten standen in die Stirn von Wolfger gegraben, doch er erwiderte nichts. Auch Walther ergriff nicht wieder das Wort. Noch mehr hinzuzufügen hätte die Wirksamkeit seiner Rede nur abschwächen können. Er mochte nicht auf dem Wasser wandeln können, aber er hatte über viele Jahre gelernt, seine Worte zu Waffen zu schmieden. Und Wolfger, der in der Welt und in der Kirche gelebt hatte und die Macht des Wortes besser kannte als die meisten, war von allen Menschen der, welcher am besten beurteilen konnte, ob die Klinge, die ihm Walther entgegenstreckte, bloße Gleisnerei war oder ein Schwert, mit dem man Drachen töten konnte.
    »Herr Walther«, sagte Wolfger endlich, »Ihr solltet Euch lieber daranmachen, neue Lieder zu dichten, als bei mir zu sitzen.«
    Walthers Herz sank.
    »Schließlich werdet Ihr bald einen neuen König haben, den es dem Volk zu vermitteln gilt«, fuhr Wolfger fort. Um seine Lippen spielte ein winziges Lächeln.
    * * *
    Als Diepold von Schweinspeunt hörte, der Kaiser habe den Befehl widerrufen, die Schiffe für das Übersetzen des Heeres auf die Insel Sizilien zu bemannen, und der Bote keine Erklärung dazu abgeben konnte, stapfte er erbost zur Feste von Reggio, wo der Kaiser residierte, und schüchterte genügend Wachen ein, um vorgelassen zu werden. Er fand einen Otto vor, der sich von dem siegesgewohnten Mann, mit dem er noch am Vorabend getafelt hatte, erheblich unterschied. Dieser Otto brütete über einer Pergamentrolle.
    »Euer Gnaden …«
    »Diese Hunde«, sagte Otto dumpf. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Diese dreckigen Verräter!«
    Schweinspeunt hatte keine Ahnung, auf wen sich der Kaiser beziehen konnte, jetzt, da alles so gut für ihre Sache stand.
    »Euer Gnaden?«
    »Dieser blutlose Eunuch in Rom war nicht damit zufrieden, mich zu bannen, nein. Jetzt hat er den deutschen Fürsten freigestellt, einen neuen Kaiser zu wählen. Nicht nur einen neuen deutschen König, nein, einen neuen Kaiser! Und wisst Ihr, was die Herren getan haben, statt ihn auszulachen?« Ottos Stimme war mit jedem Wort lauter geworden. Bei der letzten Frage sprang er auf und packte Diepold von Schweinspeunt beim Kragen. »Schwört, dass Ihr nichts davon gewusst habt!«, brüllte der Kaiser und schüttelte ihn. »Schwört es!«
    Schweinspeunt hielt sich mit einigem Recht für einen abgehärteten alten Kämpen, aber aus nächster Nähe geschüttelt zu werden und den Speichel eines wutentbrannten Otto im Gesicht zu spüren, war trotzdem keine angenehme Erfahrung, zumal es seit zwanzig Jahren niemanden mehr gegeben hatte, der sich dergleichen hätte herausnehmen dürfen.
    »Was, mein Kaiser?«
    »Die treulosen Schweine, die sich deutsche Fürsten nennen, haben das Balg von Sizilien in

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