Das Spiel der Nachtigall
auf der Zunge zu fragen, ob das nicht bis morgen warten könne, doch natürlich nickte er und folgte Hugo in die Räume des Bischofs. Dieser trug trotz der späten Stunde noch seinen Überrock aus Seide. Wie schnell die Zeit vergeht, dachte Walther. Als ich kam, kannte ich keine Seide, heute bin ich sicher, es ist solche aus Lucca, die selbst ein Graf kaum bezahlen kann.
»Der neue Herzog von Österreich hat mir gerade anvertraut, dass er den Rest des englischen Lösegelds auf die gleiche Art und Weise wie der Kaiser abzubüßen gedenkt«, begann Wolfger unvermittelt: »Durch die Kosten für seinen Kreuzzug.« Er musterte Walther neugierig. »Ihr scheint mir ein junger Mann zu sein, der weiß, was man mit den Dingen anfangen kann, die man von Menschen loserer Zunge hört.« Hugo zuckte zusammen.
Walther fragte sich, ob sich Leugnen oder falsche Bescheidenheit lohnten, und entschied sich gegen beides. »Ich bin ein junger Mann, der gerade für die Nacht obdachlos geworden ist. Euer Gemach ist heimeliger als der Palas, und Ihr seid, wie unser neuer Herzog richtig sagte, ein großer Fürst der Christenheit. Darf ich um Eure christliche Barmherzigkeit und um ein Lager bis morgen früh bitten?«
»Das ist doch …«
»Hugo, du hast bereits genug geredet«, sagte der Bischof leise, doch mit unmissverständlicher Schärfe. »Was Euch betrifft, Herr Walther, so könnt Ihr gerne bleiben. Es mag sogar sein, dass Ihr in der Zukunft öfter bei mir in Passau zu Gast sein werdet, es sei denn, Euer Herz hängt allein an den Residenzen der Herzöge von Österreich.«
»Nur Gott weiß, was die Zukunft bringt, Euer Gnaden«, erwiderte er mit einem Lächeln.
»In der Tat. Und er offenbart sich uns Sterblichen leider höchst selten. Deswegen sind wir hin und wieder auf Auskünfte unserer Mitmenschen angewiesen.«
Das war eine deutliche Aufforderung, sich für den Bischof umzuhören, und verriet, was Wolfger von ihm hielt. Walther horchte in sich hinein und stellte fest, dass er sich nicht beleidigt fühlte, ganz anders als bei Reinmars Wutausbruch vorhin. Es gab nichts, das ihn antrieb, mit großer Geste »Niemals!« zu verkünden. Allerdings gab es auch nichts, was ihn veranlasste, sich zu verbeugen und »Wie Ihr wünscht, Euer Gnaden, nur allzu gerne!« zu dienern. Walther dachte daran, was Reinmar über Friedrich und den Kreuzzug gesagt hatte, und an die Überlebensaussichten im Heiligen Land. Sich auf einen einzigen Gönner zu verlassen, wenn man selbst kein Land und Einkünfte hatte, konnte jederzeit bedeuten, in große Gefahr zu geraten oder wieder in Armut zu fallen, und beides wollte Walther nicht. Außerdem, wenn er darüber nachdachte, wollte er wirklich mehr von der Welt sehen. Wenn gewisse junge Mädchen aus dem fernen Köln sich nichts dabei dachten, bis nach Salerno zu ziehen, wäre es doch gelacht, wenn ein freier Mann wie er nicht über bayerische und österreichische Lande hinauskam.
»Nun, Euer Gnaden«, sagte er, »da ist es ein Glück, dass einige Menschen besser mit dem Wort umzugehen verstehen als andere. Es ist sozusagen ihre Berufung.«
II. Wechsellied
1195–1197
Kapitel 6
F ür Judith war der Blick auf die Bucht von Salerno immer Freude und Schmerz zugleich.
Als sie mit ihrem Vater am Ziel ihrer Träume eingetroffen war, hatten sie eine Stadt vorgefunden, die vollständig geplündert und gebrandschatzt worden war, nur zwei Wochen vor ihrer Ankunft. Die meisten der Häuser waren kaum bewohnbar, nur notdürftig zusammengeschustert wie ein Flickenteppich, mit Strohbündeln, Zweigen und dem, was an unverbrannten Balken noch vorhanden war. Den Mitgliedern der Schule von Salerno war es gelungen, die wichtigsten Bücher und Instrumente zu retten, doch sie mussten sich nun neben all den Kranken, die immer noch von überall her nach Salerno kamen, um geheilt zu werden, auch um die Schwerverwundeten und Krüppel der Stadt kümmern. Ein Teil der Gemeinschaft war über vier weitere Hände dankbar; der Rest verabscheute Judith und ihren Vater von dem Moment an, als sie den Mund öffneten, denn der Mann, der Salerno aus Rache zerstören hatte lassen, war kein anderer als Kaiser Heinrich gewesen, der Herrscher Siziliens und damit auch Salernos – doch jeder Kriegsknecht, der in der Stadt gehaust, getötet, verkrüppelt und vergewaltigt hatte, sprach Deutsch.
Josef ben Zayn wurde mit etwas Übung bald wieder fließend in den Landessprachen: der italienischen Volgare, dem Arabischen und dem Französisch der
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