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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Schmerzen gejagt wurde, war bitter.
    Zumindest würde sein alter Freund nicht der ewigen Verdammnis anheimfallen; das war ein Trost. Er hatte bereut und gebüßt, wie Bischof Wolfger bei seiner Predigt gesagt hatte, und das Verzeihen Gottes war grenzenlos. Wenn fürderhin des verstorbenen Herzogs von Österreich gedacht wurde, dann würde man von seinen Ruhmestaten sprechen. Ja, der Herzog mochte besonders empfindlich in allen Angelegenheiten seiner Ehre gewesen sein, aber war diese Eigenschaft nicht ritterlich, nicht fürstlich? Seine Fehler waren nur Schatten seiner Tugenden gewesen, nichts anderes.
    Um sich selbst machte Reinmar sich keine Sorgen. Der junge Friedrich hatte die Wünsche seines Vaters stets respektiert und würde nie dessen alten Freund fortschicken. Doch der Hof würde nicht mehr der gleiche sein, das wusste er. Es war immer so, wenn eine neue Generation ans Ruder kam.
    Reinmar seufzte und ließ sich neben Walther auf der großen Truhe nieder, die ihnen gleichzeitig als Bank diente. Er warf einen Blick auf die Wachstafel. Manche Sänger machten sich nie die Mühe, ihre Lieder aufzuschreiben, auch, weil sie nicht schreiben konnten und sich daher lieber auf ihr Gedächtnis verließen. Doch Reinmar empfand es als große Hilfe, seine Verse aufzuschreiben, wenn er an ihnen feilte. Natürlich nicht auf Pergament, das war viel zu kostbar. Obwohl der Herzog immer großzügig zu Reinmar gewesen war, hätte er es sich nie leisten können, das edle Material auf verschiedene Fassungen seiner Lieder zu verschwenden. Immerhin, ab und an, wenn ein Lied besonders gelungen war und von der Gesellschaft mit rauschendem Beifall begrüßt wurde, dann hatte der Herzog es seinem Schreiber gestattet, eine Abschrift zu erstellen. Aber für die Arbeit an einem Lied waren die Wachstafeln der alten Römer gerade recht. Man konnte das falsche Wort durch einen Griffelstrich verschwinden lassen, und neues Wachs war an einem Hof wie diesem leicht zu bekommen. »Wenn du deine Verse vor dir siehst, dann wirst du Fehler viel eher ausmachen, als wenn sie dir nur in deinem Kopf herumspuken«, hatte er erklärt. Das war eine der wenigen Lektionen gewesen, die Walther ohne Widerspruch angenommen hatte.
    Reinmar kniff die Augen zusammen, um ausmachen zu können, woran Walther eigentlich schrieb, und was er las, mischte seiner Trauer sofort Enttäuschung bei.
    »Nun meid mich nicht zu lange, so schaffst du Freude mir«, sagte er ungehalten. »Es wäre wohl zu viel verlangt zu erwarten, dass du eine Klage um unseren Herzog schreibst, ehe jemand dich dazu auffordert, doch ein Tagelied?«
    Er hatte nichts gegen Tagelieder als solche. Sie zählten nicht zu seiner liebsten Gattung, denn unerwiderte Liebe war nun einmal ein edleres Thema, aber dem Grundschema der Liebenden, die vom Anbruch der Morgendämmerung auseinandergerissen wurden, waren durchaus ein paar bewegende Klagen abzugewinnen. An anderen Tagen. Aber nicht heute!
    Walther schien ihn überhaupt nicht wahrzunehmen. Stattdessen schrieb er weiter. Nun kannte Reinmar das Gefühl selbst nur zu gut, im Schaffensrausch zu stecken und Wort nach Wort setzen zu müssen, ganz gleich, was um einen geschah. An jedem anderen Tag hätte es ihn sogar zufrieden gemacht, den jungen Mann so hingegeben zu erleben. Aber gerade jetzt war er müde, der Verlust des Herzogs und die Ungerechtigkeit seines Todes fraßen an ihm, und außerdem war dies sein Gemach. Er, genau wie der verstorbene Herzog, hatte Walther großmütig hier aufgenommen. Der Junge war undankbar, und er verdiente es, dass Reinmar etwas von seinem Schmerz an ihm ausließ.
    »Der Bischof von Passau hat bei seiner Predigt von Herrn Friedrichs Gelöbnis gesprochen, für seinen Vater in den Kreuzzug zu ziehen«, sagte Reinmar. »Wie steht es denn um deine Waffenkünste?«
    Das brachte Walther dazu, den Griffel zu senken und ihn aufrichtig verwirrt anzuschauen. »Um meine … warum fragt Ihr das?«
    »Nun, mit Tageliedern wirst du dich kaum der Sarazenen erwehren können, wenn du Herrn Friedrich begleitest. Und ich will nicht hoffen, dass du um dein Leben fürchtest, wenn es um den Dienst an deinem irdischen und himmlischen Herrn geht. Natürlich habe ich dich nie an den Fechtübungen teilnehmen sehen, doch ich bin sicher, dass du dich deiner Haut erwehren wirst, schließlich hängst du ja so sehr an ihr. Tapferkeit buchstabiert man trotzdem anders. Und es mag sein, dass du trotzdem eine Hand verlierst, oder ein Bein, aber dann bin ich

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