Das Spiel der Nachtigall
Erlebnis nie kam. Vielleicht war es aber auch ihre Schuld gewesen, weil sie damals das miteinander schlafen angegangen war wie ein Buch, und ein Buch waren ihre beiden Körper nun einmal nicht. Jedenfalls hatte sie sich etwas ganz anderes vorgestellt unter dem Wort Zusammensein und war schnell zu der Überzeugung gelangt, dass dieser Akt, über den ständig etwas angedeutet und hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde, maßlos überschätzt war.
Doch das alles würde kein Trost für Salvaggia sein, der ersten Bewohnerin Salernos, die freiwillig ihre Hilfe gesucht hatte, und Judith war fest entschlossen, diese Chance zu nutzen. In Trotas De mulierum passionibus fand sie schließlich, was sie brauchte. An Nardenöl und Moschus zu kommen, war nicht weiter schwer. Die Harz-Leinöl-Mischung musste sie selbst mischen, das Gleiche galt für eine Salbe aus den Wurzeln des Beinwells.
»Es gibt eine Möglichkeit, Jungfräulichkeit vorzutäuschen«, sagte Judith, »doch noch wichtiger ist, was Ihr vorher tun werdet, jeden Tag von nun an, bis zu Eurem Hochzeitstag.«
Sie begann mit einer Salbe. Es kostete einige Überredung, bis sich Salvaggia in dem Raum auszog, den Judith mit der Tochter des Studienkollegen ihres Vaters bewohnte; das Mädchen war am ganzen Körper angespannt und zitterte. Judith massierte sie, so gut sie konnte, zunächst Schultern und Arme, dann die Beine. Dabei summte sie, weil Rabbi Mosche Musik für hilfreich hielt, um Patienten zu entspannen. Es gab nicht viele Lieder, die Judith kannte, also griff sie auf die Wiegenlieder ihrer Mutter zurück. Am Ende war Salvaggia zwar nicht völlig gelöst, doch nachgiebig genug, um nicht mehr zu zucken, wenn sich Judiths Finger um ihre Oberschenkel schlossen.
Judith wusch die Hände mit abgekochtem Wasser und hielt das kleine Stück feuchter Wolle hoch, damit Salvaggia es sehen konnte. »Man hat Euch verletzt. Eure Vagina ist wie eine offene Wunde. Das ist die Behandlung: Träufelt etwas von dem Moschus oder etwas von dem Nardenöl hierauf und führt es Euch ein, jeden Morgen und jeden Abend ein neues Stückchen, aber reinigt vorher Eure Hände, wie ich es Euch gezeigt habe. Diese Mischung lindert den Schmerz.« Sie hatte es an sich selbst ausprobiert. Nicht, dass sie der großen Trota nicht traute, doch es erschien ihr unrecht, an Salvaggia etwas zum ersten Mal anzuwenden. Judith war so behutsam wie möglich, doch das Mädchen verkrampfte erneut. Immerhin nickte sie und versprach, der Anweisung zu folgen. »Außerdem werde ich Euch zeigen, wie man einen Melissetrank braut, um das Gemüt zu beruhigen. Es ist ein Trank, den Ihr mit Eurer Familie teilen könnt, so dass niemand sich wundern wird, warum Ihr ihn nehmt.«
»Und … und die Hochzeitsnacht? Ich habe gehört … die alten Frauen sagen, dass man Blutegel einführen sollte – dort.«
Judith zuckte zusammen. »Nein! Auf gar keinen Fall. Ich habe eine Harz-Leinöl-Mischung für Euch. Tragt vier Tropfen auf in der Stunde, ehe Euer Gatte zu Euch kommt. Es wird die Vagina enger machen und ihn glauben lassen, Ihr wäret noch Jungfrau. Was das Blut betrifft, es gibt hier im Hospital so viel von den Kranken und Verwundeten, dass ich Euch am Tag Eurer Hochzeit etwas davon in ein unauffälliges Fläschchen füllen werde. Ihr müsst es dann unter der Decke auslehren.« So stand es zumindest in den Büchern. Für sie würde es solche Heimlichkeiten nicht geben; Judith wollte nur einen Mann heiraten, dem sie sich anvertrauen konnte, der verstehen würde, warum sie nicht gewartet hatte, wie sie sich das in schlaflosen Nächten immer wieder neu vorbetete.
»Wenn das Badehaus geöffnet wäre, würde ich Euch außerdem warme Bäder zur Entspannung empfehlen, doch ich kann verstehen, dass es wichtigere Gebäude gibt, die aufgebaut werden müssen. Immerhin ist Euer Aquädukt noch unzerstört. Das ist erstaunlich. Ich habe nie eines gesehen, das noch Wasser liefert, bis ich hierherkam und erfuhr, dass alle Menschen davon trinken, weil es reines Quellwasser ist. Überall sonst wird nur Wein und Most getrunken, selbst bei den armen Leuten, da die meisten Flüsse und Brunnen voller Unrat sind und ein Hort von Krankheiten. Ihr habt Glück.« Es war einfach nur Gerede, um Salvaggia abzulenken. Für Judith war klar, dass der Zustand des Mädchens schlimmer werden würde, je tiefer sie sich in ihre Ängste vergrub. Manchmal musste man etwa vom Wetter plaudern oder den Patienten über seinen Wirt schimpfen lassen, ehe man ein
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