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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Adelheid zur Kaiserin. Ihr Sohn heiratete eine Prinzessin aus Byzanz, so wie Euch, und als er früh starb, da regierten Adelheid und Theophanu, viele lange Jahre. Adelheid überlebte all ihre Feinde und hatte mehr Macht und Einfluss als alle Herzöge beider Reiche zusammen. Heute verehrt man sie als Heilige, und wo die Männer vermodern, die es gewagt hatten, sie gefangen halten zu wollen, weiß keiner mehr.«
    Während ihrer Erzählung war Irene immer aufmerksamer geworden und schien vergessen zu haben, an ihre Schmerzen zu denken. »Aber woher wisst Ihr, dass es nicht Otto war, der Adelheid gefangen nahm, und sie einfach das Beste aus ihrer Lage machte? Als mein Vater seinen Vorgänger stürzte und den Thron bestieg, da war er es, der den Geschichtsschreibern diktierte, was sie zu erzählen hatten. Und jetzt, da mein Onkel regiert, werden die Chroniken gewiss wieder neu geschrieben.«
    »Nun, beschwören kann ich natürlich nicht, dass es sich genauso ereignet hat, wie man uns heute berichtet. Immerhin ist es zweihundert Jahre her. Keiner von uns war dabei. Aber Adelheid war am Schluss diejenige, die alle Männer überlebte und die Macht hatte, die Geschichte so festhalten zu lassen, wie sie es sich wünschte. Mir scheint, das ist der beste Beweis dafür, dass ihr Lebensweg ein erfolgreicher war.«
    Inzwischen stand das heiße Bad mit den Malvenblüten bereit. Judith bat Irene, hineinzusteigen. Sie kam nicht umhin, die Figur der Prinzessin interessiert anzuschauen. Sie hatte noch nie eine Frau gesehen, der man jegliche Arbeit, jede Bewegung abnahm, wo immer es ging; sie wollte allzu gerne wissen, was das für Folgen auf einen solchen Körper haben mochte. Die Bäder in Eselsmilch oder mit Tausenden von Rosenblättern, das ständige Getragenwerden in Sänften, selbst zwischen einzelnen Räumen, das man den Prinzessinnen aus Byzanz zuschrieb, musste doch Auswirkungen haben. Was sie aber sah, war die Figur einer jungen Frau, die noch nicht geboren hatte, mit festen, hoch angesetzten Brüsten, einem sanft gewölbten Bauch und Beinen, denen man die mangelnde Bewegung nicht ansah. Auch wenn Judith sicher mehr Muskeln hatte: Alles war so, dass es sich kaum von ihrer eigenen Figur unterschied. Nur der Bereich oberhalb ihres Geschlechts, der war anders: Irene war dort nackt, was wohl hieß, dass sich die Byzantinerinnen rasierten, wie es die Frauen der Muslime taten. Was nichts mit ihrer Herkunft und alles mit ihrem Gemütszustand zu tun hatte, war die Verkrampfung, die sich überall abzeichnete. Dass jedermann Irene in der Ansicht bestärkt hatte, sie litte unter einem tödlichen Geschwür, war die andere Hälfte des Problems.
    Judith kniete neben der Wanne, während sie Irenes Bauch massierte, mit den langsamen, kreisenden Bewegungen, die man sie gelehrt hatte.
    »Seid Ihr wirklich eine Deutsche?«
    »Aus Köln, Euer Gnaden«, bestätigte Judith und wiederholte den Namen in Latein. » Colonia Agrippinensis. Es ist eine der bedeutendsten Städte des Weströmischen Reiches, doch ich muss zugeben, dass sie sich mit allem, was man von Byzanz hört, gewiss nicht vergleichen lässt.«
    »Ich habe noch keinen Deutschen ohne ein Schwert in der Hand gesehen«, sagte die Prinzessin. Das musste übertrieben sein, denn ihre Wachen trugen ihre Schwerter wie die meisten Bewaffneten in der Scheide, und außerdem bezweifelte Judith, dass Diepold von Schweinspeunt oder Kaiser Heinrich selbst, dem die Prinzessin einmal begegnet sein musste, dabei die Waffe in der Hand hielten. Aber sie verstand, was Irene meinte.
    »Es gibt bei«, sie stolperte einen Moment über das Wort, dann fuhr sie fort, »bei uns Bauern, Handwerker und Gelehrte, ganz wie bei Euch, die niemals ein Schwert in der Hand haben.« Eine Erinnerung blitzte in ihr auf, und sie fügte mit einem Lächeln hinzu: »Und sogar Sänger.«
    »Ihr meint Spielleute«, verbesserte eine der Hofdamen.
    »Nun, die gibt es auch, aber ich meinte Sänger bei Hofe. Dichter. Gewiss wird es welche an Eurem Hof geben, Euer Gnaden.« Kaiser Heinrich selbst hatte einige Minnelieder verfasst, die an vielen Orten im Reich gesungen wurden, aber Judith bezweifelte, dass Irene für diese Auskunft dankbar sein würde. Sie wollte die Prinzessin auf angenehme Gedanken bringen, nicht sie an Ängste erinnern, was bei einer erneuten Erwähnung des Kaisers unweigerlich der Fall gewesen wäre.
    »Wie die Troubadoure, meint Ihr?«
    Judith wusste, dass der Hof in Palermo ein französisch-normannischer gewesen

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