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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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glänzende Unterhaltung durch ihre Fehde geboten, blieb Reinmar der Mund offen stehen.
    »Alter Freund«, sagte er, und Reinmars Knappe, der bei Walthers Eindringen aufgesprungen war, fragte sich, ob der Herr von der Vogelweide nun endgültig wahnsinnig geworden war: Auf seinem Gesicht lag ein breites Strahlen, die Augen leuchteten wie bei einem beschenkten Kind. Er schwenkte etwas, das wie ein ungebundenes Buch aussah. »Das musst du lesen.«
    Das Duzen sagt einiges darüber, dachte der Knappe mitleidig, wie Walther Herrn Reinmar als seinesgleichen ansieht. Er bewunderte seinen Herrn, der seine Würde wahrte und entgegnete: »Warum ich? Hast du keines deiner vielen Liebchen gefragt, ob es dir zuhören möchte, wenn du wieder einmal glaubst, über erfüllte Liebe dichten zu müssen? An deiner Stelle würde ich Herrn Friedrichs Geld nicht an Pergament für deine Gedichte verschwenden, Walther; es mag sein, dass du es noch einmal brauchen wirst.«
    »Meine Gedichte sind in aller Munde, die brauche ich nicht auf Pergament«, gab Walther in ungebrochener Hochstimmung zurück. »Nein, was ich hier habe, stammt nicht von mir. Aber es ist trotzdem unglaublich gut, und du musst es lesen.«
    Trotzdem, als sei etwas, das nicht von ihm stammte, gewöhnlich nicht gut. Und das zu seinem Lehrmeister, das war ein starkes Stück, dachte der Knappe, vor allem, wenn man sich erinnerte, dass Walther vor ein paar Jahren noch dankbar für jede Lektion gewesen war, wie es sich gehörte. Leider schlich sich mittlerweile etwas verräterische Neugier in Herrn Reinmars ablehnende Gesichtszüge. »Worum handelt es sich denn?«
    »Ein neues Heldenlied«, sagte Walther. »Es ist noch lange nicht fertig, aber man kann jetzt schon erkennen, dass …«
    »Wenn es noch nicht fertig ist, und es stammt nicht von dir«, unterbrach Reinmar, »wieso verfügst du dann über eine Abschrift? Noch dazu auf Pergament?«
    Ungeduldig wedelte Walther mit der freien Hand. »Das spielt doch keine Rolle. Wichtig ist nur, dass du es liest.« Er breitete die Pergamente sorgfältig auf dem Tisch vor Reinmar aus und glättete sie behutsam. Man konnte dem Älteren ansehen, dass er mehr als versucht war, sie sofort zu lesen; er hob seine Hände und presste die Fingerspitzen aufeinander, wie um der Versuchung zu widerstehen.
    »Warum?«, fragte er mit gepresster Stimme. »Werde ich darin auch verspottet?«
    Ein wenig von dem freudigen Überschwang verließ Walther, doch bei weitem nicht alles. »Nein«, sagte er. »Aber du bist, im Gegensatz zu meinen Liebchen, der Einzige hier bei Hof, der verstehen kann, was eine gute Dichtung bedeutet.«
    Reinmar blinzelte ob des unerwarteten Kompliments, fuhr sich mit dem linken Handrücken über die Stirn und seufzte. Der Knappe fragte: »Herr, wünscht Ihr, dass ich Herrn Walther hinausgeleite?«
    »Nein«, sagte Reinmar, »nein. Aber geh du nur.«
    Das, schlussfolgerte der Knappe, ist der Grund, warum Walther so unerträglich sein kann: Nicht nur, dass er Unruhe verursacht, nein, er bringt die Menschen auch dazu, wider ihr eigenes Wohl zu handeln. Herr Reinmar sollte doch am besten wissen, dass er sich bei Gesprächen mit Walther nur aufregen würde, doch nein, der Undankbare wurde gebeten, zu bleiben, und ein treuer Gefolgsmann sollte gehen. Wohl bekomm’s.
    Walther vertrieb sich die Zeit, während Reinmar las, damit, ihm abwechselnd über die Schultern zu blicken, um die Verse noch einmal zu erleben, und damit, sich eine Erklärung zu überlegen, die besser war als: Der Bischof von Passau hat mir seine eigene Abschrift des Epos, das an seinem Hof entsteht und mit dem noch kein Spielmann durch die Lande zieht, weil es unvollendet ist, geliehen, weil ich so ein netter Mensch bin. Er hatte auch eine Vermutung, warum er die Pergamentrollen erhalten hatte, und sie machte ihn stolz und unsicher zugleich: Bischof Wolfger wollte so bestimmt sicherstellen, dass das Epos zu Ende geschrieben wurde, auch wenn der Autor vorher starb. Sterben war so einfach heutzutage.
    Er hatte die unerwartete Gabe aus Passau nicht für sich behalten können. Reinmar mochte ein überempfindlicher alter Nörgler sein, aber er verstand den Zauber der Worte, das Abenteuer von Gedanken und Gefühlen, denen Form gegeben wurde, besser als irgendjemand sonst bei Hofe. Für die herzogliche Familie und ihre Höflinge war die Dichtkunst angenehmes Beiwerk, mit dem man sich schmückte, weil andere Höfe nichts Vergleichbares aufzuweisen hatten. Keiner am Hof hatte

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