Das Spiel der Nachtigall
Judith war nicht dort, und er wusste nicht, wen er fragen konnte, ob sie in Wien blieb oder nicht, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Er dachte daran, wie er für kurze Zeit befürchtet hatte, sie könne selbst unter den Toten sein, und entschied, auf jeden Fall im Tross der Prinzessin nach Frankfurt zu reisen. Wenn Judith ihrer Base in Wien beistand, dann brauchte sie keinen Schutz, doch wenn sie Irene nach Frankfurt begleitete, dann würde er sie diesmal nicht im Stich lassen. Das würde seine Buße für die Feigheit sein; danach würden sie getrennte Wege gehen.
Walther war froh, von Friedrich ein eigenes Pferd zu erhalten, nicht ohne den Hinweis, es möge ihn auch in der Zeit von Friedrichs Abwesenheit nach Wien zurücktragen. Er wusste nicht, ob er erleichtert darüber war, dass Friedrich gar nicht auf die Idee kam, ihn auf den Kreuzzug mitzunehmen, oder gekränkt. In jedem Fall gefiel ihm das Pferd, eine braune Stute. Als Teil eines längeren Trosses, so stellte sich heraus, hatte sie allerdings ihre Tücken: Störrisch schritt sie entweder schneller oder langsamer, als sie sollte, ganz zu schweigen davon, dass sie gelegentlich nach anderen Pferden und Maultieren schnappte.
»Gib ihr einen Namen, dann hört sie eher auf dich«, schlug Wolfgers Sohn Hugo vor, der seinen Vater in der Hoffnung nach Frankfurt begleitete, der Teilnahme am Kreuzzug für würdig befunden zu werden. Sein Traum war es, neben seinem Vater in der Grabeskirche in Jerusalem zu knien und dann dem Kaiser vorgestellt zu werden. Hugo war eine einfache Haut geblieben, doch mit dem Vorschlag, seinem Pferd einen Namen zu geben, konnte er recht haben.
»Ich bin ein Walther, also sollte sie eine Hildegunde sein«, sagte Walther, weil die Abschrift des Nibelungenliedes ihn wieder an all die Geschichten um die alten Burgunderkönige erinnert hatte, einschließlich des Lieds von Walther und Hildegunde. Damit brachte er Hugo zum Lachen. Walther wartete, bis der Bischofssohn sich wieder beruhigt hatte, dann fügte er hinzu: »Ich würde ja deinem Vater zu Ehren den Namen Kriemhild wählen, doch dann müsste ich wirklich befürchten, dass sie sich mit den anderen Pferden beißt.«
»Wie der Maulesel, den sie der Frau aus Salerno gegeben haben?«, fragte Hugo und deutete hinter sich in die Richtung des Pferdewagens, in dem die Prinzessin saß. »Das ist ein Biest, was aus der Hölle stammen muss. Wenn du mich fragst, war das die Absicht des Stallmeisters. Er kann nicht glücklich darüber gewesen sein, dass sich ein Weib in den Kopf gesetzt hat, lieber zu reiten, wo doch genügend Platz im Wagen war, noch dazu, wo dein Herzog bald jedes Lasttier benötigt, das ihm noch bleibt.«
»Nun, es ist ein schöner Tag«, sagte Walther so gleichgültig wie möglich. »Vielleicht zieht sie die Sonne und frische Luft dem Wageninneren vor.«
»Dabei wird sie sich aber das Gesicht braun brennen lassen wie eine Bäuerin«, sagte Hugo bedauernd, »und von denen gibt es schon genügend. Aber Herrn Georg scheint das nicht zu stören.«
»Wen?«
Hugo deutete abermals hinter sich. »Herr Georg von Bamberg, einer von den Rittern, die uns der Herzog überstellt hat.«
Es brachte Walther einige verwunderte Blicke ein, als er Hildegunde endlich dazu bewogen hatte, nicht nur stehen zu bleiben, sondern dann auch genau in die entgegengesetzte Richtung zu traben, doch das kümmerte ihn nicht. Endlich erreichte er das Grüppchen, das neben dem Wagen der Prinzessin ritt: die Ritter aus der Schenke – und zwischen ihnen, immer auf ihren Maulesel einredend, Judith.
»Magistra«, sagte er, »auf ein Wort.«
»Es gibt nichts, was ich Euch zu sagen hätte.«
»Es geht nicht um mich«, gab Walther zurück und versuchte, Hildegunde zu bewegen, im Gleichschritt mit Judiths Maulesel zu gehen, obwohl die beiden Tiere sofort anfingen, einander mit äußerstem Misstrauen zu beäugen. Georg von Bamberg nahm dies zum Anlass, sich in die Brust zu werfen und zu erklären, wenn die Magistra die Gesellschaft des Herrn Walther nicht wünsche, dann solle dieser sie in Ruhe lassen. Nichts an seinem Gehabe gab Anlass zu der Vermutung, dass er sich an Walther erinnerte. Warum sollte er auch, dachte er; die Gedanken waren spitz und stachelig in seinem Kopf. Schließlich habe ich in der Schenke nicht ein einziges Mal den Mund für Salomon aufgemacht.
»Ich hoffe, Ihr werdet im Heiligen Land für die Seelen Eurer gehängten Freunde beten«, sagte Walther freundlich zu Georg.
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