Das Spiel der Nachtigall
Man sollte ihren Aufbruch dorthin nicht länger hinauszögern, zumal meine Leute mehr als ausreichen, um Philipps zukünftige Gemahlin zu beschützen. Ich werde ihnen mitteilen, dass ihre Anwesenheit in unserem Tross nicht länger nötig ist, und sie beauftragen, dem Kaiser ein Schreiben von mir zu überbringen«, gab der Bischof zurück. Walther spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief. Er wusste nicht, ob es aus Erleichterung oder Unzufriedenheit mit sich selbst geschah, weil er ein weiteres Mal sein eigenes Wohl an die erste Stelle gesetzt hatte. Dass es auch Judith gefallen musste, die Ritter nicht mehr sehen zu müssen, war nur ein angenehmer Beigeschmack.
Die Nacht verbrachten sie in einem Kloster. Der Bischof, Irene und ihre Frauen wurden in den Klosterzellen selbst, die Kriegsknechte, ob Ritter oder nicht, zusammen mit dem Gesinde in den Stallungen untergebracht. Für Walther bedeutete das eine Nacht im Stroh, was ihm nichts ausmachte. Zuerst musste er sowieso noch eine Möglichkeit finden, der Prinzessin Irene seine Aufwartung zu machen, um Judith sagen zu können, dass die drei Mörder ihres Vetters nicht mehr um sie herum sein würden. Wie er das anfangen sollte, angesichts der Tatsache, dass sie bisher jeder Gelegenheit ausgewichen war, mit ihm zu reden, wusste er nicht, doch er war immer gut darin gewesen, sich vom Fleck weg etwas einfallen zu lassen.
Zunächst einmal half es, dass eine zum Haushalt der Prinzessin gehörende Magd in den Stallungen um frische Milch für ihr kleines Kind bat. Sie tat dies in der Volgare der Südländer, und der Stallmeister – kein Mönch, sondern ein Laienbruder und daher nur einiger lateinischer Gebete mächtig – verstand sie nicht. Walther kam ihr zu Hilfe und pries sein Glück, so weit im Süden geboren zu sein, um beide Sprachen seit Kindesbeinen zu kennen. Er vermittelte und gab dabei vor, die warme Milch sei für die Prinzessin, weil das jegliche Ablehnung des Stallmeisters ausschloss, und half der Magd anschließend, den Becher zu der Zelle des Abtes zu tragen, die Irene zur Verfügung gestellt worden war. Walther erfuhr, dass die Frau Lucia hieß. Ihr üppiger Busen und die breiten Hüften waren eine angenehme Erinnerung daran, dass Gott mit der Erschaffung Evas die Welt entschieden lebenswerter gemacht hatte. Bis sie bei der Zelle eintrafen, hatte Walther sie bereits einmal zum Lachen gebracht, was er als gutes Omen für den Rest des Abends nahm.
Irene wurde gerade vorsichtig der Staub von Gesicht und Hals gewaschen; das Flechtwerk des Wagens war durchlässiger, als es den Anschein hatte. Judith kniete auf dem Boden und durchsuchte gerade das mit Leder bezogene Holzkästchen, das sie an einem Riemen über die Schulter getragen hatte, als er mit ihr zu den Zisterzienserinnen aufgebrochen war. Sie schaute nicht auf, als er eintrat.
»Euer Gnaden«, sagte Walther auf Latein, stellte sich heiser und verbeugte sich vor der Prinzessin, »ein schreckliches Schicksal hat mich befallen: eine Erkältung. Meine Stimme ist in Gefahr. Darf ich bitte die Dienste Eurer Ärztin in Anspruch nehmen?«
Jetzt blickte Judith nicht nur auf, sondern sie erhob sich so schnell und heftig, dass in ihrem Holzkasten etwas klirrte. Er hätte nicht sagen können, warum es in diesem Moment war, nicht früher und nicht später, dass er etwas in seinem Inneren beim Namen nannte, und es war weder Schuldgefühl noch die Freude an den weiblichen Formen, wie sie ihm gerade erst die Magd Lucia durch ihre Figur verschafft hatte.
»Euer Gnaden, mein ärztlicher Rat für Herrn Walther lautet, den Rest der Reise schweigend zu verbringen. Auf diese Weise kann er seine Stimme schonen. Ich bin sicher, bis wir in Frankfurt eintreffen, wird er wieder die Redseligkeit selbst sein.«
»Selbst ein Bader«, sagte Walther, und die gespielte Kränkung in seiner Stimme kam ihm zupass, um den Aufruhr in seinem Inneren zu überspielen, »würde sich mehr Zeit lassen und mich untersuchen. Soll das die Kunst der Schule von Salerno sein? Wenn ja, dann bin ich tief enttäuscht.«
Irenes Blick wanderte von ihm zu Judith und wieder zurück. Sie erinnerte ihn mit den goldenen Ohrringen und den schwarzen, lockigen Haaren an ein römisches Mosaik, das er einmal in Osttirol gesehen hatte.
»Eine solche Enttäuschung dürfen wir nicht zulassen, Magistra«, entschied sie mit dem Mutwillen eines Kindes, das sie nicht mehr sein konnte. »Am Ende ruiniert Euch Herr Walther sonst mit seiner kratzigen Stimme
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