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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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stieß ihn nicht zurück.
    Ihr Haar und ihre Haut rochen nach Minze und Rosenwasser, und er spürte ihre Tränen an seinem Hals. War, hatte sie gesagt, ihr Vater war. Walther begriff, dass er so tot sein musste wie ihr Vetter. Es gab nichts mehr, auf das sie zurückschauen konnte, ohne zu trauern, und er wünschte sich, er hätte gewusst, wovon er sprach, als er vom Vorwärtsschauen redete. Gleichzeitig konnte er auch das nicht ungeschehen wünschen, nicht hier, nicht jetzt.
    Jemand räusperte sich missbilligend. Walther spürte, wie sie sich rasch aus seinen Armen löste. Einer der Mönche aus dem Kloster stand mit frisch gebackenem Brot im Arm vor ihnen. »Der Abt hat mir aufgetragen, dies zwischen dem hochwürdigen Bischof und der edlen Prinzessin zu teilen.«
    »Die hoch edle Irene wird sich freuen«, erwiderte Judith, und nur die Spuren auf ihren Wangen verrieten, dass sie gerade eben noch geweint hatte. »Seid bedankt, Bruder.«
    Sie kehrten mit dem Mönch in Irenes Zelle zurück. Während eine der Mägde die Hälfte des Brotes für die Prinzessin und ihre Frauen aufschnitt, fragte Irene freundlich, ob Judith Herrn Walthers Stimme nun doch habe helfen können, denn gewiss seien sie zu schnell zurück, um den Bruder Medicus bemüht zu haben.
    »O ja, Euer Gnaden«, sagte Walther, ehe Judith antworten konnte. Er musste sprechen, denn wenn er sich Zeit gab, über das nachzudenken, was gerade geschehen war, dann sollte das nicht hier geschehen. »Es war ein wahres Wunder, und wie Ihr mich gemahnt habt, will ich der Magistra ihre Mühe gleich entgelten.«
    Das frische Brot duftete stark genug, um ihn hungrig zu machen. Wenn es nach den Liedern ging, dann spürte ein verliebter Ritter solch kleinliche Plagen seines Körpers nicht. Doch er war nur ein angemaßter Ritter, die alten Lieder brauchten dringend neue Kleidung, und er scheute immer noch davor, das närrische Gefühl, das ihn erfasst hatte, beim Namen zu nennen, zumal ihm all sein Wortreichtum keine andere Bezeichnung dafür schenkte.
    »So ist es recht. Habt Ihr an Silber oder Kupferpfennige gedacht?«, fragte Irene. Ihre Mundwinkel kräuselten sich zu einem spöttischen Lächeln.
    »Ich bin ein armer Sänger, Euer Gnaden, doch was ich im Sinn habe, ist kostbarer als beides. Gestattet mir, auch Euch für Euer Verständnis zu danken, indem ich Euch und der Magistra ein Lied widme.« Es entsprach der Sitte, sie mit einzubeziehen; die ranghöchste Dame im Raum war immer diejenige, der ein Minnelied gewidmet sein musste, und es würde ein Minnelied sein, das wusste er, keines der Frühlingsgesänge oder Preislieder auf den Frieden im Reich, die er für die Hochzeit vorgesehen hatte. Ein Lied, das sich schon seit längerem in ihm formte, doch heute, heute hatte es feste Gestalt angenommen, von dem Moment an, als er Judith auf dem Boden dieses Raumes hatte knien sehen. Auch jetzt kniete sie wieder, an der Seite Irenes, denn es gab nur ein Bett und keine Stühle; für den Rest der Frauen hatte man Strohsäcke hereingeschafft. Diesmal wandte sie den Blick nicht ab.
    »Aber Ihr habt kein Instrument dabei, Herr Walther.«
    »Bei uns begleiten sich die Sänger nicht immer auf der Laute oder Fiedel, Euer Gnaden. Manchmal reicht die richtige Aussprache, um unsere Dichtungen zu vermitteln.«
    »Wenn Ihr meint, dass Ihr stark genug für eine solche Belastung seid«, sagte Judith und fügte, an Irene gewandt, hinzu: »Wir Ärzte können keine Wunder verrichten, Euer Gnaden, und wenn unsere Patienten darauf bestehen, sich immer wieder selbst in Gefahr zu bringen, dann gibt es nicht viel, was wir dagegen zu tun vermögen.«
    »Oh, ich habe volles Vertrauen, Magistra, in Eure Fähigkeiten und in die meinen.«
    Irene klatschte in die Hände, und die Mägde kauerten sich in eine Ecke gedrängt auf den Boden, so dass Walther mehr Platz hatte. Verglichen mit den sonstigen Mönchszellen, mochte die des Abtes geräumiger sein, verglichen mit den Räumen seines Elternhauses, stellte sie Reichtum dar, doch wenn man sie gegen die Kemenate der Herzoginwitwe von Österreich setzte, war sie ein Nichts.
Ob ich dir zuwider,
Weiß ich wahrlich nicht; ich liebe dich.
Doch eines drückt mich nieder:
Du schaust an mir vorbei und über mich.
Lieb – das sollst du lassen:
Mich kann nicht erfassen
Solche Lieb’ ohn großen Schaden.
Trag mit mir. Zu schwer bin ich allein beladen!
Soll’s aus Vorsicht kommen,
Dass du mir nicht schaust ins Angesicht?
Tust du’s mir zum Frommen,
Kann dich deswegen

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