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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Braut eines Herzogs zu schänden. Vielleicht hatten die jüngsten Ereignisse sie bitter gemacht, doch Judith hielt es für wahrscheinlicher, dass Männer, die einer Frau Gewalt antaten, sich dafür solche suchten, die in der Welt weniger galten als sie selbst und niemanden hatten, der sie rächte. Genau, wie feige Mörder zuerst Opfer suchten, die für ihresgleichen nicht als Menschen galten.
    Es war befriedigend und beruhigend zugleich, an jenem Abend einen Trank zu brauen, aber sie war sich bewusst, dass sie sich selbst nicht zur Ader lassen konnte, um das üble Gemisch aus Unruhe, Trauer, Zorn und unangebrachten Sehnsüchten loszuwerden. Morgen würde sie wieder einen Tag auszufüllen haben, und dann einen weiteren. Leibärztin einer Fürstin zu sein mochte bedeuten, sich nie um das tägliche Brot sorgen zu müssen, aber es ließ ihren Verstand hungern.
    Bisher hatte sie sich vom Bischof von Passau ferngehalten, der mit dem Tross reiste, aus einem grundsätzlichen Schauder vor christlichen Klerikern. Doch er war einer der großen Bischöfe des Reiches, und das bedeutete, dass er sehr wahrscheinlich auch mit einigen Büchern unterwegs war. Also fasste sie den Entschluss, ihn anzusprechen; im Notfall konnte sie immer noch vorgeben, dass sie die Bücher für die Prinzessin haben wollte.
    Wie Irene reiste der Bischof mit einem Wagen, doch er saß nicht darin; stattdessen fand sie ihn hoch zu Ross, als sie ihren Maulesel zu seinem Teil des Trosses trieb. Und sie fand ihn im Gespräch mit Walther.
    Gott der Allmächtige hatte eine merkwürdige Art und Weise, seine Töchter zu prüfen.
    »Euer Gnaden, die Magistra Jutta von Köln und unlängst von Salerno«, sagte Walther, als er sie erblickte.
    Der Bischof neigte grüßend sein Haupt. »Ich habe von den Frauen aus Salerno gehört.« Aus seinem Tonfall ließ sich nicht schließen, ob es Gutes oder Schlechtes war. Walther dagegen lächelte sie an. Sie lächelte nicht zurück, aber sie konnte nicht umhin, festzustellen, dass er ein paar Sommersprossen mehr auf der Nase hatte. Es war eine rein medizinische Beobachtung. Wenn er es noch einmal wagen sollte, Verse an sie zu richten, würde sie ihm mitteilen, dass sich nichts geändert hatte, nur, weil er die Worte »es tut mir leid« von sich geben konnte. Sie sollte Flüche über seinen Namen aussprechen für das, woran er mitschuldig war, nicht überlegen, ob er an jenem Abend vielleicht betrunken gewesen war und nicht gewusst hatte, was um ihn geschah.
    »Auch Euer Ruhm hat uns erreicht«, entgegnete sie so ehrfürchtig wie möglich, obwohl sie von dem Bischof nur wusste, dass sein Bistum Passau zu den größten Diözesen im Reich gehörte. »Vor allem der Eurer Gelehrsamkeit. Deswegen komme ich zu Euch, edler Herr. Ein gelehrter Mann Gottes wie Ihr reist gewiss nicht ohne Bücher.«
    »Nein, das tut er nicht«, sagte der Bischof, ohne eine Miene zu verziehen. »Kann es sein, dass ich Euch schon einmal begegnet bin, Magistra?«
    »Wenn Ihr die Schule von Salerno besucht habt«, begann sie und sah, wie Walther plötzlich ein bestürztes Gesicht machte. Seine Lippen formten lautlos Todesbett. War Bischof Wolfger an jenem Tag im Sterbezimmer des alten Herzogs gewesen? Wenn ja, dann hatte er nicht zugunsten ihres Vaters eingegriffen, als die Verdächtigungen begannen.
    »Nein, das habe ich nie, und ich muss gestehen, dass ich mich wundere, wie Euch das Leben dorthin verschlagen hat. Wenn Ihr aus Köln stammt, dann wäre es doch gewiss naheliegender gewesen, die Heilkunst zum Ruhme Gottes im Kloster zu Bingen zu erlernen, wo die große Hildegard selbst gewirkt hat?«
    Sie zwang sich, nicht anders als freundlich und gelassen zu klingen. »Dieses Kloster nimmt nur adelige Frauen an, und überdies fühle ich mich nicht zur Nonne berufen, Euer Gnaden.«
    »Dann seid Ihr verheiratet? Ich meine mich zu erinnern … Ja, ich bin mir sicher, Euch schon einmal gesehen zu haben, in Gesellschaft eines anderen Arztes, der älter war als Ihr.« Mit einem Mal war sein Blick sehr kühl. »Eines jüdischen Arztes, Frau Jutta.«
    Mein Vater, wollte sie sagen, aber dann ritt sie der Teufel, und sie fragte stattdessen: »Wart Ihr denn so krank, Euer Gnaden, dass Ihr die Hilfe eines jüdischen Arztes nötig hattet?«
    »So krank werde ich nie sein«, gab er zurück, nicht feindselig, sondern sehr sachlich, als sei es die größte Selbstverständlichkeit. »Wenn das Schicksal mich krank oder verwundet in die Hände eines jüdischen Arztes gäbe, dann

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