Das Spiel der Nachtigall
tadeln nicht:
Nun, so meid mein Haupt!
Das sei dir erlaubt,
Und schau bloß auf meinen Fuß,
So du mehr nicht kannst: Das sei dein Gruß.
Wenn ich alle überschaue
Die mir sollen wohlbehagen,
Bist nur du es, Fraue:
Ohne Rühmen kann ich dir das sagen.
Edel, schön zu schauen
Sind gar viele Frauen,
Zeige dich und trag hohen Mut;
Geborene gibt es höher, doch nur du bist für mich gut.
Jetzo dich besinne,
Frau, ob ich dir liebwert sei.
Deines Freundes Minne
Taugt nichts, ist die deine nicht dabei.
Minne taugt nicht einsam,
Sie soll sein gemeinsam,
So gemeinsam, dass sie dringt
Durch zwei Herzen, und kein weitres zwingt.
Während er die Worte formte, war er sich bewusst, dass er noch mehr daran arbeiten musste, aber das war ein Gedanke, der wie ein Fisch in einem Teich herumglitt, tief unten, während die Sonne auf der Wasseroberfläche tanzte. Es gab kein Gefühl so wie das, seine Zuhörer zu erreichen, und er tat es, ohne dass ihn die Erinnerung an die Schenke heimsuchte, wie sie es noch in Wien bei dem Vortrag während des Gastmahls getan hatte. Es war deutlich, dass die Prinzessin und die Magd Lucia nur einen Teil der Worte verstanden, aber genügend, der Art nach zu urteilen, wie sie sich vorlehnten, doch der Rest seiner Zuhörerinnen verstand alles; sogar Judith. Vor allem Judith.
Sie erinnerte ihn an eine Wiese im Frühling, wenn der Schnee Stück für Stück fortschmolz. Was darunterlag, war noch nicht blühend, es zeigte manche alten Wunden, die der Schnee nur überdeckt hatte, aber es war voll neuen Grüns, das sich der Sonne entgegenreckte. Ob das Gefühl in ihren Augen nun Zorn war, beginnendes Verzeihen oder die Furcht, von der sie gerade erst gesprochen hatte, sie hörte ihn. Wort und Ton, Ton und Wort; er formte ein Gespinst daraus, das er ihr zuwarf. Nun kam es darauf an, ob sie die Fäden aufgriff.
Kapitel 12
M anchmal wünschte sich Judith, Irene würde noch einmal krank werden. Nicht aus Bosheit, doch mittlerweile stand sie fast drei Monate im Dienst der Prinzessin, und der jungen Frau fehlte nichts. In Salerno hatte es jeden Tag mehrere Herausforderungen für eine Ärztin gegeben, immer wieder neue Dinge, die Judith so lernen konnte. Das war ihr Lebenstraum gewesen, das hatte sie glücklich gemacht. Nicht mehr zu tun zu haben, als Irene Deutsch beizubringen und sie aufzumuntern, gab Judith noch dazu mehr als genügend Zeit, über alles nachzudenken, was sie lieber vergessen wollte. Es gab ihr Zeit, immer wieder die Stimme ihrer Base zu hören, als sie die Leichen ihrer Verwandten beschrieb. Es gab ihr Zeit, sich selbst zu verwünschen, weil sie so dumm gewesen war, sich über das Wiedersehen mit Walther gefreut zu haben, ehe sich ihr die Wahrheit eröffnet hatte.
Es gab ihr aber auch die Zeit, sich ihrer eigenen Feigheit zu schämen, weil sie immer noch nichts über ihre wahre Religion zu Irene gesagt hatte. Ihre Feigheit, die ihr auch das Verstehen von Walthers Verhalten leichter machte. Dann wieder dachte sie an das Gelächter des Ritters, der einer von Salomons Mördern gewesen war und in ihr den Wunsch nach Vergeltung hervorrief.
Es hatte geholfen, Walther davon zu erzählen, weil es ihr die Sicherheit gab, dass sie nichts dergleichen tun würde; sonst hätte sie ihre Gedanken für sich behalten. Doch ihr Leben wurde dadurch nicht besser, denn nun musste sie sich mit der unwillkommenen Erkenntnis herumschlagen, dass sie Walther eigentlich hassen sollte, doch es nicht tat, zumindest nicht genug, um ihn aufrichtig weit fort zu wünschen.
Es wäre Judith bessergegangen, wenn sie anderen Menschen mit ihren Fähigkeiten hätte helfen können oder sich ihr wenigstens die Gelegenheit geboten hätte, in Ruhe die neuen Schriften von Mosche ben Maimon zu studieren, doch nichts davon war möglich. Stattdessen bestand ihr Geist immer wieder darauf, sie an Rabbi Mosches Kitab as-sumum zu erinnern, seine Abhandlung über Gifte und ihre Gegenmittel, ein Rausch, der sie täglich neu erfasste, auch als Walther sein Lied für sie vor aller Ohren gesprochen hatte.
Wenigstens hatte Irene das Ganze nicht weiter ernst genommen, nicht als echte Werbung. Minnelieder waren ein Spiel; es musste immer abweisende Damen geben, denen Lieder gewidmet wurden, und das Einzige, worüber Irene ein Wort verloren hatte, war, dass dieses Lied, völlig unüblich, Gegenliebe forderte und unerwiderte Zuneigung für grundsätzlich schlechter erklärte. »Vielleicht ist es anders in diesem Land und in Eurer Sprache«, sagte sie zu
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